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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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einzigen Fingern, mit denen er tippen konnte, hämmerte er hektisch in die Tasten.
    Nick lachte. »Du siehst aus wie ein durchgeknallter Pianist.«
    Christmas hob den Kopf. Die blonde Locke hing ihm wirr ins Gesicht, und seine Augen leuchteten glühend.
    »Es scheint dir Spaß zu machen«, sagte Nick.
    »So scheint es«, erwiderte Christmas ernst.
    »Komm schon, gib es zu, es macht dir einen Riesenspaß.«
    Christmas lächelte. Dann kehrte sein Blick auf das Blatt zurück, das sich mit Worten einfärbte. Neben ihm, unordentlich gestapelt, etwa ein Dutzend bereits beschriebener Seiten.
    »Ich habe mich nach diesem Philip Isaacson erkundigt«, sagte Nick.
    Sofort löste Christmas den Blick vom Papier. Er sprang auf und trat voller Ungeduld auf Mayers Assistenten zu.
    »Er hat auf das falsche Pferd gesetzt«, fuhr Nick fort. »Er hat in Phonofilm investiert und alles verloren. Er war ein Pestkranker , wie die Verlierer bei uns heißen. Irgendwer bei Fox hat ihm ein Almosen gegeben. Er leitet jetzt das West Coast Oakland Theater ...«
    »Oakland?«, fiel ihm Christmas ins Wort.
    »Oakland«, bestätigte Nick. »Telegraph Avenue.«
    Christmas schüttelte den Kopf, wandte sich um und ging mit leerem Blick, den Kopf voller Gedanken, im Zimmer auf und ab. Schließlich drehte er sich um und schaute Nick an. »Ich muss nach Oakland.«
    Schweigend musterte Nick ihn. »Bring erst das hier zu Ende.«
    »Es ist wichtig ...«
    »Auch das, was du für uns tust, ist wichtig, Christmas. Bring das hier zu Ende, und dann kannst du den Wagen nehmen ...« Er lachte. »Wenn du ihn uns wieder zurückbringst.«
    Christmas blickte ihn an. »Weißt du, was das für ein Wagen ist? Ein Oakland ...«
    Nick grinste. »Ein Wink des Schicksals. Im wahren Leben passiert das so gut wie nie. Im Film jedoch immer.«
    »Ich werde Tag und Nacht arbeiten«, sagte da Christmas entschieden. Dann tippte er Nick an die Brust. »Aber sag Mayer, er soll es sofort lesen. Mach ihm Feuer unterm Arsch. Ich warte nicht auf ihn.«
    »Reden so deine Figuren?« Nick grinste. »Das gefällt mir jetzt schon.«
    »Verpiss dich, Nick.« Christmas ging zurück zum Schreibtisch und beugte sich wieder mit gesenktem Kopf über die Tasten. »Halt mich nicht länger auf.«
    Als Christmas die Tür ins Schloss fallen hörte, hielt er inne und streichelte über die vier Tasten, die Ruths Namen bildeten. »Oakland«, sagte er leise, während ihm vor Freude Tränen in die Augen stiegen.
    Christmas fuhr an diesem Abend nicht nach Hause; er arbeitete die ganze Nacht durch. Als die Müdigkeit ihn zu übermannen drohte, lehnte er sich im Stuhl zurück und schloss die Augen. Er gab sich einem kurzen Nickerchen hin, aus dem er mit dem Gefühl erwachte, wertvolle Zeit verloren zu haben. Da stand er auf, spritzte sich ein wenig Wasser ins Gesicht und trank einen starken Kaffee, schwarz und ungesüßt. Danach kehrte er an den Schreibtisch zurück. Sobald er ein Blatt vollgeschrieben hatte, zog er es mit einem Ruck aus der Schreibmaschine und spannte sofort ein neues ein.
    Bei Tagesanbruch hatte er zwanzig Seiten geschrieben. Und am folgenden Abend waren es schon fünfunddreißig Seiten. Nick sah nach ihm und ihm riet ihm, es langsamer angehen zu lassen, bei einem solchen Arbeitspensum werde er noch zusammenbrechen. Christmas warf ihm nur einen entgeisterten Blick zu und gab keine Antwort. Weiter hämmerte er in die Tasten. Die Kuppen seiner Zeigefinger wurden zunehmend gefühllos, bis auf ein Sandwich hatte er nichts gegessen, dafür jedoch eine ganze Kanne Kaffee geleert. Als es wieder Nacht wurde, gab Christmas noch immer nicht auf, obwohl ihm die Augen schon von allein zufielen. Er schrieb bis vier Uhr morgens. Bis er seine Erzählung vollendet hatte. Dann legte er sich auf den Holzboden und sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Am Morgen darauf kam Nick ins Büro. Christmas schlief noch und hörte ihn nicht. Nick trat an die Schreibmaschine heran, in der noch ein Blatt steckte. Ganz unten auf der Seite las er das Wort Ende . Er lächelte zufrieden. Leise zog er das Blatt aus der Walze und nahm den Papierstapel vom Schreibtisch. Dann ließ er das Rollo am Fenster herunter, bis das Büro im Halbdunkel lag, und ging.
    Um drei Uhr nachmittags, nach elf Stunden Schlaf, schreckte Christmas mit einem Mal auf. Die Knochen taten ihm weh, und sein Kopf war schwer, im Mund ein bitterer Kaffeegeschmack. Sein Anzug war verknittert, und ihm war übel und schwindlig. Er stand auf und wusch sich das

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