Der Junker von Ballantrae
ihre Tage zubringt, während Sie auf dem Gut umherwandern? Mein Lord, sie ist glücklich, ihre Stunden mit einem gewissen trockenen, alten Rentmeister namens Efraim Mackellar zubringen zu können, und ich glaube, Sie sind imstande sich zu erinnern, was das heißt, denn wenn ich mich nicht sehr täusche, waren Sie selbst einst gezwungen, mit dieser Gesellschaft vorliebzunehmen.«
»Mackellar!« rief der Lord aus und stand auf. »Oh, mein Gott, Mackellar!«
»Weder der Name Mackellar noch der Name Gottes kann die Wahrheit vertuschen«, sagte ich, »ich erzähle Ihnen Tatsachen. Und wenn Sie jetzt, der Sie so viel litten, dasselbe Leiden einer Frau zufügen, ist das dann christlich? Aber Sie sind von Ihrem neuen Freunde so eingenommen, daß die alten alle vergessen sind. Alle sind sie aus Ihrem Gedächtnis ausgelöscht. Und doch standen sie Ihnen in den schwärzesten Stunden bei, die Lady nicht zuletzt. Und beschäftigt die Lady jemals Ihren Geist? Überlegten Sie sich jemals, was wir in jener Nacht durchmachten, welch treues Weib sie Ihnen von dieser Zeit an gewesen ist und in welcher Lage sie sich heute befindet? Niemals! Sie setzen Ihren Stolz darin, hierzubleiben und ihm standzuhalten, aber sie muß mit Ihnen hierbleiben. Oh, der Stolz meines Lords, das ist die wichtigste Sache! Und doch ist sie eineFrau, und Sie sind ein großer starker Mann! Sie ist das Weib, das Sie zu beschützen schworen, und was mehr ist, die Mutter Ihres einzigen Sohnes!«
»Sie sprechen bittere Worte, Mackellar«, sagte er, »aber Gott weiß, ich fürchte, Sie sprechen die Wahrheit. Ich habe mich meines Glückes nicht würdig gezeigt. Holen Sie die Lady zurück.«
Die Lady wartete in der Nähe, um das Ergebnis der Unterredung zu erfahren. Als ich sie hereinbrachte, nahm der Lord ihre und meine Hand und legte sie zusammen auf seine Brust. »Ich habe in meinem Leben zwei Freunde besessen«, sagte er. »Aller Trost, der mir je wurde, kam von euch beiden. Wenn ihr beiden einer Meinung seid, müßte ich ein undankbarer Halunke –« Er schloß seinen Mund plötzlich und sah uns mit nassen Augen an. »Tut mit mir, was euch beliebt«, sagte er, »nur denkt nicht –« Wieder hielt er inne. »Tut mit mir, was euch beliebt, Gott weiß, ich liebe und verehre euch.«
Er ließ unsere Hände los, drehte uns den Rücken, ging zum Fenster und schaute hinaus. Aber die Lady eilte hinter ihm her, rief seinen Namen aus und warf sich laut aufschluchzend an seinen Hals.
Ich ging hinaus, schloß die Tür hinter mir, stand da und dankte Gott aus der Tiefe meines Herzens.
An der Frühstückstafel trafen wir alle zusammen gemäß dem Plan des Lords. Der Junker hatte inzwischen seine geflickten Stiefel abgelegt und sich für die Tafel zurechtgemacht. Secundra Daß war nicht mehr in Lumpen gehüllt, sondern trug einen anständigen und einfachenschwarzen Anzug, der ihm sonderbar schlecht stand. Das Paar hielt sich bei dem großen Fenster auf und blickte hinaus, als die Familie eintraf. Die beiden wandten sich um, und der schwarze Mann, wie sie ihn bereits im Hause nannten, verbeugte sich beinahe bis zu den Knien, während der Junker wie einer aus der Familie vorwärts eilte. Die Lady hielt ihn auf, indem sie am anderen Ende der Halle einen tiefen Knicks machte und ihre Kinder hinter sich ließ. Der Lord stand etwas vor ihr, so daß die drei Sprößlinge von Durrisdeer sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Die Hand der Zeit war bei allen deutlich sichtbar, ich glaubte in ihren veränderten Zügen ein memento mori zu lesen, und was mich noch mehr erregte, war, daß der schlechte Mensch seine Jahre am vorteilhaftesten trug. Die Lady hatte sich völlig in eine Matrone verwandelt, eine Frau, die zu einer grossen Anzahl von Kindern und Angehörigen als Dame des Hauses gepaßt hätte. Der Lord hatte von seiner Kraft viel eingebüßt, er stolperte, schritt vorwärts, als wolle er laufen und habe von Mr. Alexander wieder gehen gelernt. Sein Gesicht hatte sich verlängert, es schien etwas schmaler zu sein als früher und trug bisweilen ein höchst sonderbares Lächeln, das in meinen Augen halb bitter und halb pathetisch war. Der Junker jedoch hielt sich immer noch sehr gut, wenn vielleicht auch künstlich. Seine Stirn trug in der Mitte herrische Linien, sein Mund hatte befehlshaberische Züge. Er besaß die ganze Würde und etwas von dem Glanz Satans aus dem »Verlorenen Paradies«. Ich mußte den Mann bewundernd anschauenund war überrascht, daß ich ihn mit
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