Der Kaffeehaendler - Roman
anfangs gezeigt, die Hannah dazu verleitet hatte, ihr ihre Geheimnisse anzuvertrauen.
Hannah wollte nichts mehr davon wissen. »Ich sehe nichts Schlechtes daran, mit ihm zu sprechen. Ich kann sagen, was ich will, und zu wem ich will.«
»Natürlich haben Sie Recht«, gurrte Annetje. »Vergessen wir doch die ganze Angelegenheit. Gehen wir heute Nachmittag?«
»Gehen?«
»Ist es so lange her, dass Sie sich nicht erinnern?« Beide hatten von Anfang an gewusst, dass der Name der Örtlichkeit nie laut ausgesprochen werden durfte, nicht hier im Haus, nicht in der Vlooyenburg, nirgends, wo Juden oder Ma’amad-Spitzel lauern konnten.
Hannah schluckte. Ihr war klar gewesen, dass es zu diesem Gespräch kommen musste, und sie hatte alles getan, um sich dafür zu stärken. Trotzdem fühlte sie sich unvorbereitet und sogar überrascht. »Ich kann nicht gehen.«
»Sie können nicht gehen?«, fragte Annetje. »Fürchten Sie sich vor der albernen Witwe?«
»Das ist es nicht«, sagte Hannah. »Ich will es nicht in Gefahr bringen. Mein Kind.«
»Schon wieder das Kind«, schnauzte das Mädchen. »Als wäre noch nie jemand schwanger gewesen.«
»Ich will kein Risiko mehr eingehen. Gott hat es mir gezeigt, er hat mich vor den Gefahren gewarnt. Einmal bin ich fast ertappt worden, und ich wäre eine Närrin, wenn ich Seine Gnade ignorieren würde.«
»Gott hat Sie nicht gerettet«, sagte Annetje. »Das war ich. Ich bin diejenige, die Sie davor gerettet hat, entdeckt zu werden. Gott wird Sie in die Hölle verdammen, wenn Sie heute nicht gehen, und Ihr Kind dazu.«
Hannah schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Sie wissen, dass es wahr ist«, sagte das Mädchen gereizt. »Wir werden ja sehen, wie lange Sie es ertragen, nächtelang wach zu liegen und zu wissen, dass Sie in die Hölle verdammt sind. Dann werden Sie Ihre Meinung ändern.«
»Vielleicht«, meinte Hannah doppeldeutig.
»Jedenfalls dürfen Sie nicht vergessen«, verkündete Annetje etwas fröhlicher, »Senhor Miguel nichts zu sagen. Sie müssen Stillschweigen bewahren. Versprechen Sie mir das?«
»Das verspreche ich.« Während sie die Worte aussprach, wusste sie schon, dass sie log, und empfand ein seltsames, neuartiges Vergnügen daran, wie leicht ihr die Lüge über die Lippen kam. Sie wusste, dass sie mit Miguel sprechen würde, obgleich sie nicht hätte sagen können, wann oder warum, oder welche Konsequenzen ihre Handlung haben würde.
Eine Woche nach seiner Begegnung mit Hendrick saß Miguel mit Geertruid im Singenden Karpfen . Sie hatte ihm ein Briefchen geschickt, in dem stand, dass sie ihn sehen wollte, und Miguel war hergeeilt. Bei seiner Ankunft war Hendrick gerade dabei, eine Geschichte zu erzählen, und obwohl Geertruid ihren hübschen Hals reckte, um Miguel einen Kuss zu geben, unterbrach sie ihn nicht.
Hendrick sprach in raschem Holländisch, und Miguel fiel es schwer, der weitschweifigen Handlung zu folgen, die sich um einen Jugendfreund und ein gestohlenes Fass mit gepökeltem Rindfleisch drehte. Als er fertig war, lachte er anerkennend über sich selbst. »Das ist mal eine Geschichte, was, Judenmann?«
»Sie gefällt mir sehr gut«, erwiderte Miguel.
»Sie gefällt ihm sehr gut«, sagte Hendrick zu Geertruid. »Wie freundlich von ihm, das zu sagen.«
Warum schickte Geertruid diesen Clown nicht fort? Aber Miguel sah, dass sie ein bisschen zu viel getrunken hatte. Hendrick hatte ebenfalls getrunken. »Jetzt sind Sie an der Reihe«, sagte er zu Miguel. Er grinste breit, doch seine Augen funkelten. »Erzählen Sie eine Geschichte.«
Es war wohl eine Art Prüfung, aber Miguel hatte keine Ahnung, was er tun sollte. »Ich habe keine Geschichte zu erzählen«, antwortete er, »jedenfalls keine, die es mit Ihrer aufnehmen kann.« In Wahrheit fand Miguel keine Ruhe. Er hatte nur noch ein Drittel von Geertruids Geld, und das war zu wenig, um Nunes zu bezahlen. Bisher hatte er die Sache mit dem verlorenen Geld verdrängt, doch vor Geertruid plagte ihn das schlechte Gewissen.
»Ich habe keine Geschichte zu erzählen«, wiederholte Hendrick, Miguels Akzent imitierend. »Kommen Sie, Judenmann. Sie erfreuen sich ja auch an meiner großzügigen Unterhaltung, nun hätte ich gern etwas von Ihnen. Möchten Sie nicht auch eine Geschichte hören, Madame?«
»Ich würde gern eine Geschichte hören«, stimmte Geertruid zu. »Der Senhor ist so geistreich.«
»Ich sehe, ich bin in der Minderheit«, sagte Miguel mit betonter Gutmütigkeit. »Was
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