Der kalte Himmel - Roman
packte. Es sah aus, als ob ein Schraubstock das blasse Gesicht umklammerte.
Marie rannte zu der verschlossenen Doppeltür und hämmerte dagegen. » Aufmachen « , rief sie. » Lassen Sie mich bitte herein. «
Doch weder der Professor noch sein junger Assistenzarzt dachten daran, sich von einer nervösen Mutter beeinflussen zu lassen.
» Macht dich das hier wütend? « , fragte der Professor den Jungen ruhig und drückte noch einmal fester zu.
Voller Angst schrie Felix auf und begann, wie ein in die Enge getriebener Flüchtling wild um sich zu schlagen. Die Instrumente des Nebentisches fielen zu Boden. Ein Glas zerbrach. Felix’ Schrei gellte bis auf den Flur hinaus. Wie eine Verrückte trommelte Marie gegen die verschlossene Tür. Sie hörte Ärzte und Schwestern durcheinandersprechen.
» Jetzt fixieren Sie ihn doch « , sagte der Assistenzarzt zu der diensthabenden Schwester. Der Professor gab ihr die Anordnung, den Jungen für eine Spritze vorzubereiten.
Marie stieß einen Schrei aus. » Aufmachen « , rief sie, » machen Sie mir sofort die Tür auf! «
Als der Professor zu ihr heraustrat, sah sie, wie sein Assistent dem schreienden Felix die Spritze setzte. Mit aller Kraft versuchte sich Marie an Professor Metzler vorbeizudrängen, doch der Psychiater schob die verzweifelte Mutter unnachgiebig zurück und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
» Was machen Sie mit meinem Sohn? « , schrie Marie.
Der Arzt legte ihr beruhigend den Arm auf die Schulter. » Nun zügeln Sie doch Ihre Emotionen, Frau Moosbacher « , gab er sich betont beherrscht. » Wir haben den dringenden Verdacht auf eine frühpubertäre Schizophrenie. «
Marie starrte den Mann fassungslos an. » Was soll das heißen? « , rief sie außer sich. » Was geben Sie ihm da? «
» Das ist nur eine Beruhigungsspritze « , antwortete Professor Metzler. » Ein Sedativum. Zu seinem und zu Ihrem Schutz. Dieser Junge kann zu einer Gefahr für sich und andere werden. Gemeingefährlich wie der Volksmund sagt. Die hier vorliegende Schizophrenie weist auf eine progressive Persönlichkeitsstörung mit unabsehbaren Folgen hin. «
Mit einem heftigen Stoß stieß Marie den Mann von sich weg und rannte wieder zur Glastür. Hier sah sie, wie der sich eben noch heftig wehrende Felix von einem Moment auf den anderen in sich zusammensackte und reglos auf dem Untersuchungsstuhl liegen blieb. Ein Zittern überkam sie, ihre Knie begannen zu schlottern. Einer Ohnmacht nahe hielt sie sich am Türrahmen fest. Die Tränen liefen ihr die Wangen herab, als sie vor den Professor trat.
» Ich bin hierhergekommen, damit Sie meinem Sohn helfen « , sagte sie, um eine feste Stimme bemüht. » Nicht, damit Sie ihn mir kaputtmachen. Geben Sie mir meinen Sohn zurück. «
Professor Metzler holte tief Luft und lächelte, so wie er immer lächelte, wenn ihn einfache Leute nicht verstanden. » Ja « , sagte er unbeeindruckt. » Aber jetzt gehen die Dinge erst mal ihren Gang. «
Ohne nachzudenken rannte Marie los. Wie in einem entsetzlichen Alptraum rannte und rannte sie, ohne zu wissen wohin. Schließlich stand sie vor dem Empfangsschalter und brachte unter Stottern und Schluchzen den Namen Niklas Cromer hervor und etwas von einer Tagung, deren genaue Bezeichnung sie nicht kannte. Ihr panischer Auftritt war bei den wartenden Patienten nicht unbemerkt geblieben, so dass sich die diensthabende Schwester zum Handeln gezwungen sah, um eine Unruhe zu verhindern. Hastig suchte sie in ihren Unterlagen die Teilnehmerliste der Veranstaltung heraus und wies Marie die Richtung zum Tagungsraum.
*
Die Herren waren gerade dabei, ihre Kaffeepause zu beenden. Ein interessiertes Grüppchen hatte sich um Niklas versammelt, der seine Thesen hier im Vorraum des Tagungsraumes noch einmal erläuterte: » Wenn wir unseren Ansatz ernst nehmen, dass es sich auch bei jungen Patienten um eigenständige, ernst zu nehmende Persönlichkeiten handelt, dann müssen wir umdenken. Nicht mehr die ärztliche Autorität ist das Maß aller Dinge, sondern die sorgfältige Analyse der jeweiligen Patientenpersönlichkeit. «
Einige Herren grinsten sich an.
» Aber, junger Kollege « , wandte ein ergrauter Professor amüsiert ein. » Das hieße nun wirklich, das Kind mit dem Bade ausschütten! «
» Gott sei Dank hab ich Sie gefunden « , rief eine atemlose Stimme vom Treppenabsatz her.
Alle anwesenden Herren wandten sich um. Erst jetzt begriff Marie, dass ihr Auftritt den jungen Arzt in Verlegenheit
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