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Der kalte Himmel - Roman

Der kalte Himmel - Roman

Titel: Der kalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Möbelrückens nicht zu übersehen waren.
    Da saß sie nun mit wenig Geld in der Tasche und einer ungewissen Aussicht in diesen prachtvollen Räumen und konnte sich an nichts freuen. Nie hatte sie mit ihrem Mann eine Reise machen können. Der Hof erlaubte keine längeren Abwesenheiten, und seit die Kinder auf der Welt waren, brauchte sie daran erst recht nicht mehr zu denken. Und jetzt saß sie hier, nicht zum Vergnügen, sondern aus Verzweiflung. Das durfte alles nicht umsonst sein. Während sie nachdachte, hatte Felix einige Murmeln aus der Tasche gezogen, die ihm Niklas gegeben hatte, und ließ sie auch hier über das Parkett rollen. Hin und her, her und hin. Niklas wird uns helfen, dachte Marie. Ganz bestimmt wird er das.
    *

» Frau Moosbacher, wo bleiben Sie denn? « , sagte die Schwester streng, als Marie am anderen Morgen eine Viertelstunde zu spät und völlig außer Atem den Klinikflur entlanggerannt kam. Felix hatte Mühe gehabt, sich in der fremden Umgebung zu orientieren, das Anziehen, das Frühstücken, für alles hatte er mehr Zeit gebraucht als zu Hause. Die Straßenbahn war ihnen vor der Nase weggefahren, und an der Station, wo sie hatten umsteigen müssen, dauerte es noch mal länger, als sie erwartet hatte.
    Marie staunte, wie viele Menschen hier schon am frühen Morgen auf den Straßen waren. Elegante Westberliner mit Hüten und Pelzjacken, aber auch junge Leute in wallenden, bunten Kleidern, grünen Parkas und groben Lederstiefeln drängelten sich in den Straßenbahnen und Bussen, deren Haltestellen über und über mit Plakaten beklebt waren. Der Anblick von all dem ließ Marie schwindeln, eine solche Bilderflut hatte sie ihr Lebtag noch nicht gesehen.
    Seit sie die Pension um sieben Uhr früh verlassen hatten, bemühte sich Felix nach Kräften, all seine Blicke auf die Bordsteinkante der Gehwege zu richten, was sich bei der wechselnden Breite der Berliner Bürgersteige als unvorhergesehene Hürde erwies.
    » Felix, schau halt auf deine Füße, wenn du keinen anschauen magst « , sagte Marie leise, » wir können doch hier nicht Zickzack laufen. «
    Doch Felix ließ sich nicht beirren, und so sprangen sie reichlich merkwürdig auf den Gehwegen umher, bald zog der Junge seine Mutter, bald drängte ihn Marie wieder zurück, bis sie schließlich erschöpft unter den Wartenden an der Straßenbahnhaltestelle ausharrten, um gegen 8 . 15 Uhr endlich die Klinik zu erreichen.
    » Doktor Cromer hat Ihnen extra eine Stunde eingeräumt, aber da müssen Sie schon pünktlich sein. «
    » Aber das bin ich immer « , verteidigte sich Marie. » Nur « , sie versuchte, etwas ruhiger zu atmen, » nur, Berlin ist so groß. «
    Die Schwester sah die Hopfenbäuerin von oben bis unten an.
    » Und ein abgehetzter Patient bringt uns schon gar nichts « , erklärte sie streng. » Da können Sie gleich zu Hause bleiben. «
    Marie biss sich vor Verlegenheit auf die Lippen. Die Krankenschwester stand schon längst vor dem Behandlungszimmer und klopfte an.
    » Dr. Cromer, sie sind jetzt da. «
    *

Wieder und wieder ließ der junge Arzt seinen neuen Patienten auf den Fugen der Bodenfliesen entlanglaufen. Es war ein Weg, den sich Felix selbst ausgesucht hatte, als ihn Niklas bat, sich frei in seinem Zimmer zu bewegen. Linien, geometrische Formen und Muster aber waren Felix’ Welt. Hier fühlte er sich sicher, nach dieser Orientierung hielt er überall Ausschau, vor allem dann, wenn er in eine fremde Umgebung kam. Diese Orientierung gab ihm Halt, sie war es, die ihm offenbar Anhaltspunkte vermitteln konnte, nach denen er sich zu verhalten wusste. Niemals hätte Felix direkt in das Gesicht eines fremden Menschen geblickt, auch bei den vertrautesten Familienmitgliedern, ja sogar bei seiner Mutter, fiel ihm der direkte Augenkontakt schwer, und er versuchte immer, ihm so schnell wie möglich wieder zu entfliehen.
    » Deine Mutter sagt, du magst Zahlen « , überlegte Niklas.
    Marie konnte aus dem Nebenzimmer heraus beobachten, wie Felix unbeeindruckt von der Ansprache des Arztes einfach weiterlief. Der zog daraufhin eine helle Holzschachtel hervor, in der verschiedene hölzerne Zahlen in Fächern steckten, und hielt sie Felix hin.
    » Magst du dir eine Zahl herausnehmen? « , fragte der Arzt.
    Doch auch jetzt reagierte Felix nicht. Er lief einfach weiter, lief in seinem eigentümlich wiegenden Gang an den Linien entlang, als ob ihn nichts und niemand um ihn herum etwas anginge.
    » Welche Zahl magst du, Felix? « , fragte Niklas

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