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Der kalte Himmel - Roman

Der kalte Himmel - Roman

Titel: Der kalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Ein trauriges Lächeln lag auf seinem Mund. » Viel Glück dann. «
    Ein letztes Mal sahen sie sich an. Dann kletterte Marie mit Felix in den Bus. Der Fahrer ließ den Motor an und fuhr los. Paul stand da neben seinem blauen Auto und starrte den Davonfahrenden noch lange nach.
    *

Es regnete so stark in Berlin, dass Wasser an den Fassaden herabströmte und über den Abflussrinnen aufschäumte. Nach dem Schnee der vergangenen Wochen hatte Marie nicht an einen Regenschirm gedacht, sie würde einen kaufen müssen, dachte sie, als ihr klar wurde, dass schon wenige Meter aus dem Bahnhof Zoo hinaus auf den Kurfürstendamm genügen würden, um sie und Felix völlig zu durchnässen. Einen Regenschirm, wenn wir die Klinik gefunden haben, muss ich einen Regenschirm kaufen, hämmerte es in ihr, als sie mit Felix in der einen und dem Koffer in der anderen Hand, die Reisetasche unter den Arm gequetscht, einen Zebrastreifen in der Joachimsthaler Strasse überquerte. Sie klammerte sich an den Gedanken mit dem Schirm wie an einen Strohhalm, der sie in dieser verwirrenden Stadt vor dem Ertrinken rettete.
    Doch als Marie an diesem späten Februarnachmittag des Jahres 1968 endlich an der Straßenbahnhaltestelle stand, von der die Bahn zum Klinikum abfahren sollte, da hörte der Regen schlagartig auf.
    Kaum eine Minute später bog auch schon die Linie 1 8 um die Ecke, die Türen öffneten sich, und Marie stieg mit ihrem Sohn hinein. Im Inneren der Straßenbahn waren die Scheiben vor Feuchtigkeit beschlagen, man konnte kaum hinaussehen, so dass Marie und Felix bei ihrer ersten Fahrt durch Berlin wie durch eine Nebelstadt fuhren. Es war eine Fahrt ins Ungewisse, Marie hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie diese Reise führen würde. Sie klammerte sich an ihre Hoffnung: Ihrem Kind musste geholfen werden.
    *

Der Gebäudekomplex des Krankenhauses war ein wenige Jahre alter, zehnstöckiger Betonbau. In jäh hochsteigender Angst blickte Marie an den modernen Glasfronten, Innenhöfen und Loggien hoch. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie nichts und niemanden kannte, dass alles, was sie in ihren Händen hielt, die Idee eines Mannes war, der sich in wenigen entscheidenden Minuten richtig verhalten hatte. Aber was wäre, wenn dieser Niklas Cromer in Berlin ein anderer war, wenn er keine Zeit, keine Lust und kein Interesse haben würde, sich mit den Ängsten einer Hopfenbäuerin aus der bayerischen Provinz auseinanderzusetzen?
    Marie schluckte. Nein, das würde er nicht denken. Nicht so. Sohn und Koffer fest umklammernd betrat sie das Foyer und wandte sich sofort an eine blonde Schwester mit einem langen Pferdeschwanz, die hinter einer Glasscheibe am Informationsschalter saß.
    » Grüß Gott, den Doktor Cromer such ich. «
    » Doktor Cromer? « , sagte die junge Frau. » Auf welcher Station soll der sein? «
    Für einen Moment starrte Marie sie verdutzt an, zog dann aber Niklas’ Visitenkarte aus der Tasche. » Kinder-und Jugendpsychiatrie « las sie laut vor.
    Die Schwester nickte. » Viertes Obergeschoss, Abteilung 8 a. «
    Marie blickte sich vorsichtig um.
    » Gehen Sie den Gang dort entlang, die Fahrstühle sind hinten links. «
    Als sich der Aufzug im vierten Stock öffnete, sah sie ihn sofort. Marie hatte damit gerechnet, sich durchfragen zu müssen, hatte sich schon erste Sätze der Erklärung zurechtgelegt, aber nun stand er einfach vor ihr. Vertieft in ein Gespräch mit zwei anderen jungen Ärzten, von mehreren Schwestern umringt, achtete er nicht auf die Personen, die dem Fahrstuhl entstiegen.
    Erst als sie mit zaghaften Schritten auf die Gruppe zuliefen und schließlich verlegen stehen blieben, erkannte der Arzt Felix und Marie. Wie begossene Pudel sahen sie aus, die groben wollenen Winterjacken noch immer durchnässt, die Haare am Kopf klebend, die geschnürten Lederstiefel dreckbespritzt. In ihrer rechten Hand hielt Marie noch immer den alten abgeschabten Lederkoffer fest umklammert, den einzigen Koffer, den ihre Familie besaß. Doch all das schien Niklas gar nicht zu bemerken. Ein Lächeln überzog sein Gesicht, und seine Augen suchten ihre Augen, so unmittelbar, so direkt und offen, wie sie es in Erinnerung hatte.
    Maries Herz hämmerte in ihrer Brust. Sie war hier. Sie hatte es geschafft. Wie von weither hörte sie seine Stimme.
    » Marie! Felix! Wie schön, dass ihr gekommen seid! « Ohne Rücksicht auf seine Gesprächspartner ging er sofort vor Felix in die Knie. » Da hast du so eine weite Reise gemacht.

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