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Der kalte Himmel - Roman

Der kalte Himmel - Roman

Titel: Der kalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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um fünf Uhr im Kudamm-Eck sein, andernfalls wäre sie den Job schon los, bevor sie überhaupt begonnen hätte.
    Während sie sich ihren Rock überstreifte, flüsterte Felix: » Ich kann nicht schlafen, Mama. «
    Marie zog den Reißverschluss zu.
    » Versuchs halt, Felix « , seufzte sie. » Bleib einfach still im Bett, der Schlaf wird dann schon kommen. «
    In einem bronzegefassten Wandspiegel löste Marie ihren Nackenknoten auf und fuhr sich langsam mit einem grobgezinkten Kamm durch die Haare. Mit einem grünen Samtband umrahmte sie dann ihre über die Schulter fallenden hellbraunen Haare und gab ihrem Gesicht das Mädchenhafte wieder, das in den harten Arbeitsjahren auf dem Hof fast völlig verschwunden schien. Sie befeuchtete ihre Lippen und betrachtete sich kritisch. So, das musste reichen. Es war höchste Zeit.
    Bevor Marie den Raum verließ, streifte sie ihrem Sohn die zerknüllte Bettdecke über und schob ihm das Kopfkissen sachte an die Seite. Felix lag leicht ineinandergerollt und hatte sich den rechten Arm über die Augen gelegt. Er schien tatsächlich eingeschlafen zu sein.
    *

» Hör auf, um den heißen Brei rumzureden « , schimpfte der rotgesichtige Mann, dem Marie bereits das dritte Bier dieses Abends an den Tisch brachte, und sah den schmallippigen Versicherungsvertreter, dem er gegenübersaß, scharf an.
    » Schneller, schneller, das muss schneller gehen « , raunzte der Kneipenwirt, dabei bediente Marie schon längst die wartende Herrenrunde zwei Tische weiter, deren gierige Augen auf dem neuen Fräulein hoch- und runterwanderten. Schon machte sich die erste Männerhand auf den Weg, um persönlich Maß zu nehmen.
    Während Marie mit der Rechten das Frischgezapfte auf den Tisch schob, wehrte sie mit der Linken die Hand ab, die von ihrer Taille zielstrebig nach unten wanderte. Dichte Rauchschwaden hingen im Raum, die Luft war zum Ersticken. Die Hand, die Marie energisch zurückgedrängt hatte, kratzte sich nun am Nacken.
    » Hab ich Ihr Haar etwa gegen den Strich gebürstet? « , sagte der Mann frech und zündete sich genüsslich eine Zigarette an. Die anderen lachten.
    *

Marie fragte sich später, ob es das langgezogene Quietschen der Straßenbahn gewesen war, die nur etwa zwanzig Meter entfernt vom Hauseingang hielt. Vielleicht war es auch das Hupen eines Autos oder das Klingeln des Telefons im Hausflur gewesen, sie wusste es nicht. Irgendetwas musste Felix in dieser Nacht aus dem Schlaf gerissen und geängstigt haben. Die Fremdheit der ungewohnten Umgebung und der Schrecken über das Alleinsein schienen Felix mit solch einer Wucht überfallen zu haben, dass er sich allein nicht mehr zu helfen wusste. Er hatte nach ihr gerufen. » Mama. Mama? « Erst leise, dann immer lauter. Dann ein Schrei. Sein Blick war über die grünen Tapeten gewandert, hatte versucht sich festzuhalten an all dem Nippes und Plunder, der das Pensionszimmer des ältlichen Fräuleins füllte. Doch er war abgeglitten an all dem Fremden, das ihm nichts sagte, ihn nicht halten konnte. » Mama? Mama! Mama!!! «
    *

Es war bereits eine Stunde nach Mitternacht, als Marie endlich den Hauseingang der Berliner Pension betrat. Schon im Erdgeschoss hörte sie die Schreie ihres Sohnes, rannte von unten die beiden Stockwerke hoch und stieß atemlos die Tür zur Wohnung ihrer Zimmerwirtin auf. Was sie da sehen musste, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Eine Spur der Verwüstung zog sich durch den angemieteten Raum. Zerbrochene Figuren, Vasen und umgeworfene Möbel erzählten ihr alles. Mit einem Besenstiel hielt die Zimmerwirtin ihren schreienden Jungen in Schach, der sich in seiner Angst auf das Bett geflüchtet hatte.
    Felix’ kleine Arme flatterten wie Flügel hin und her. In seinem Schrecken war er wieder zu jenem Vogel geworden, den seine Mutter so gut kannte, einem Vogel freilich, dem dicke Tränen wie Murmeln die Wangen herunterrollten, ein Vogel, der nur noch davonfliegen wollte und der doch nicht wusste, wohin.
    » Was machen Sie da? « , schrie Marie, » sind Sie wahnsinnig? «
    Sie streckte die Arme nach ihrem Sohn aus und streichelte hilflos seine Hand.
    » Das ist kein Kind, das ist ein Ungeheuer! « , brüllte die Frau zurück. » Meinen Sie, ich will die Fürsorge hierhaben? Sie sind gekündigt! Und zwar fristlos! «
    Unfähig, auch nur noch ein Wort zu sagen, nahm Marie den zitternden Felix in den Arm und hörte, wie die Tür hinter ihnen mit einem lauten Knall zugeschlagen wurde.
    » Ist ja gut « , flüsterte

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