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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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laut. Der »Baron« hatte eine herzkranke Schwester und schien völlig in der Sorge um ihre Gesundheit aufzugehen.
    Die Ermittler wurden auch darüber informiert, dass der Enkel des Regisseurs vermutlich an einer akuten psychischen Störung litte. »An was für einer?«, fragten sie Kolossow. »Wozu die Sache in die Länge ziehen? Darüber müssen seine Brüder, sein Onkel und die Hausangestellte sofort und gezielt befragt werden. Die eigenen Angehörigen werden doch wohl Bescheid wissen! Bestimmt wissen sie auch, wo Basarow sich versteckt hält.« Doch Kolossow hatte alle direkten Kontakte der operativen Mitarbeiter zur Familie Basarow vorläufig kategorisch untersagt, was die Ermittler unverständlich und seltsam fanden. Sie wussten nicht, dass in diesen Tagen Katja und Sergej auf Kolossows Bitte hin zweimal bei Dmitri Basarow angerufen hatten. Der war zur Miliz in Strogino gefahren, wo die verschwundene Lisa gemeldet war, um dort eine Vermisstenanzeige zu erstatten. Doch man hatte ihm gesagt: »So viel Zeit ist ja noch gar nicht verstrichen. Vielleicht taucht Ihre Freundin ja wieder auf, junger Mann. Hat womöglich nur mal einen kleinen Ausflug gemacht.«
    Von Katja erfuhr Kolossow, dass Dmitri selbst annahm, Stepan wohne zurzeit bei einem seiner Schüler. Das war auch früher schon vorgekommen, wenn die Zwillinge sich zerstritten hatten. »Er hat mir nicht verziehen, dass ich ihn geschlagen habe«, sagte Dmitri zu Katja. »Und ich selber werde mir das auch nie verzeihen. Vielleicht hat er einfach nur Hilfe gebraucht. . .« Katja warnte Kolossow: Der Zwillingsbruder würde der Miliz bei der Suche nach Stepan freiwillig kaum behilflich sein. So beschloss Kolossow, den »Clan« einstweilen in Ruhe zu lassen, kein überflüssiges Porzellan zu zerschlagen und den, der ihn mehr interessierte als alle anderen, nicht aufzuschrecken. Doch langsam spitzte die Situation sich zu; Verwirrung und Anspannung wuchsen. Kolossow wusste: Sowohl die Vorgesetzten wie seine Kollegen warteten darauf, dass er ihnen erklärte, was er mit seiner Untätigkeit erreichen wollte.
    Der Haken aber war, dass er es mit Worten gar nicht erklären konnte. Er wollte, dass die Kollegen es mit eigenen Augen sähen. Denn all das Gerede von einer seltenen psychischen Krankheit, einer »Werwolf-Psychose«, unter der dieser Mann angeblich litt und die ihn dazu brachte, sich wie ein wildes Tier zu verhalten, Haustiere abzuschlachten und Menschen zu töten – das blieben leere Worte für sie, ohne Beweise und konkrete Anschauung. Und keiner von ihnen, ausgenommen Inspektor Sidorow, hatte jenes seltsame Geschöpf im Wald gesehen, seine wilden Augen, die raubtierhafte Anmut seiner Bewegungen, seine Schnelligkeit und Geschmeidigkeit. Welcher vernünftige Mensch würde auch an die Existenz eines Werwolfs in einem Wald bei Moskau glauben, wenn er ihm nicht tatsächlich auf einem finsteren Pfad von Angesicht zu Angesicht begegnet war?
    Ein Zufall – das war es, worauf Kolossow jetzt sehnsüchtig wartete. Ein Glückstreffer wie bei seinem geliebten Preference-Spiel. Direkte Beweise gegen Stepan Basarow gab es nicht. Nähme man ihn jetzt fest – ob auf der Datscha, in seinem Wagen, in einer Moskauer Bar, in der Wohnung seines Großvaters oder irgendeinem anderen Unterschlupf – , würde eine zähe Kette von Untersuchungen bei der Staatsanwaltschaft und später vor Gericht ihren Anfang nehmen wie in jedem Fall, bei dem die Anklage sich nur auf indirekte Indizien stützte.
    Kolossow lechzte förmlich danach, den Täter an eben dem Ort zu erwischen, an dem er sich in eine Tötungsmaschine verwandelte und seinen Instinkten freien Lauf ließ. Dort musste man ihn packen. Dann brauchte das Gericht keine Gewährsleute und Zeugen mehr zu suchen, die bestätigten, dass Basarow der Mörder war. Alles hing vom Zufall ab. Doch zu erklären: »Ich warte auf den passenden Zufall«, brachte Kolossow nicht fertig. Deshalb brach er sämtliche Gespräche darüber schroff ab und fuhr den Unzufriedenen über den Mund: »Ich weiß selbst, was ich zu tun habe. Ihr braucht mich nicht zu belehren. Ich trage die Verantwortung für diesen Einsatz.« Und dabei spürte er, dass der Fall sich auf des Messers Schneide befand. Wenn etwas Unvorhergesehenes geschah, wenn es in diesem Fall ein weiteres Opfer gab, lag die Schuld allein bei ihm.
    Dann kam der Freitag. Und Gott hatte endlich Erbarmen. Der Regen hörte auf, in den dicht belaubten Kronen der Linden und Ahornbäume zu rauschen, und

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