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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf
Autoren: Sophie Hannah
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… Gott sei Dank«, sagt Pam. Quentin nickt. Hilary ist damit beschäftigt, Kirsty den Mund abzuwischen, und schweigt.
    Amber und Luke wechseln noch einen Blick. Luke macht den Mund auf – um eine richtige Erklärung zu verlangen, wie er Amber später sagt –, aber Jo schneidet ihm das Wort ab. »Bitte, Luke, mach es mir nicht noch schwerer, als es sowieso schon ist. Könnten wir es nicht einfach vergessen? Ich habe mich so darauf gefreut, Weihnachten mit euch allen in diesem Haus zu verbringen. Der Gedanke, dass ich euch das Weihnachtsfest ruiniert haben könnte, ist unerträglich für mich.« Sie versucht einen Scherz: »Wenn ihr wüsstet, wie viel Neil und ich für dieses Haus bezahlt haben, würdet ihr das verstehen.«
    Seinen Bruder Neil hätte Luke damit nicht durchkommen lassen, aber es ist Jo – eine Frau, die versucht, nicht zu weinen, die sich sehr offensichtlich bemüht, gute Miene zu irgendeinem bösen Spiel zu machen. Zudem hat er den Eindruck, dass die meisten der Anwesenden es lieber nicht erfahren wollen. Wenn man nichts von einem Problem weiß, kann auch nicht erwartet werden, dass man zu dessen Lösung beiträgt, und es ist immer einfacher, nichts zu tun, als etwas zu tun. Und da es Jo so sehr widerstrebt, darüber zu reden, könnte es gut extrem privat sein – ein weiterer Grund, die Finger davonzulassen. Luke kann spüren, dass alle um ihn herum beschließen, Jo beim Wort zu nehmen und zu glauben, dass alles »mehr als okay« und »bestens« ist.
    Ambers Gedanken gehen in eine ähnliche Richtung: Wenn es nicht um etwas Privates ginge, würde Jo es ihnen sagen. Sie ist normalerweise kein geheimniskrämerischer Mensch. Es muss irgendeinen Notfall gegeben haben, sonst hätte Jo nie ihren Zweig der Familie eingeladen, um dann ohne ein Wort der Erklärung zu verschwinden. Jo ist weder gedankenlos noch unzuverlässig. Es ist unvorstellbar, dass sie so etwas tun könnte.
    Offiziell wird der Vorfall nie wieder erwähnt. Und dennoch wird in den folgenden Jahren sehr wohl darüber gesprochen, allerdings bekommen Jo und Neil davon nichts mit. Amber behält alles im Auge und sammelt die anfallenden Zitate zum Thema wie eine Presseausschnitts-Agentur, was nicht weiter schwierig ist, da sie selbst meist diejenige ist, die die Sache anspricht. Zwei Jahre danach, als sie einmal allein mit Sabina ist, fasst sie sich ein Herz und fragt, ob sie mehr wisse als der Rest der Familie. »Nein«, sagt Sabina. »In Italien würde ich es wissen, aber englische Familie reden ja nicht miteinander.« Amber glaubt ihr.
    Noch ein Jahr später vertraut Amber ihrer Schwiegermutter Pam an, dass sie sich immer noch oft fragt, was damals geschehen ist, und dass sie es wirklich gern wüsste. »Nun ja«, sagt Pam und rümpft die Nase, als hätte Amber ein geschmackloses Thema angesprochen. »Vielleicht möchtest du das, vielleicht aber auch nicht.« Amber findet, das sei eine merkwürdige Reaktion. Was um alles in der Welt soll das bedeuten?
    Luke ist der einzige Mensch, mit dem Amber offen über Little Orchard reden kann. Allerdings ärgert es sie, dass er es oft nur ihr zuliebe zu tun scheint. Es interessiert ihn eigentlich nicht mehr. Oder wie er es ausdrückt: »Vorbei ist vorbei. Neil und Jo geht’s gut. Was spielt es schon für eine Rolle?«
    Aber für Amber ist es wichtig. So wichtig, dass sie sogar schon daran gedacht hat, William, der jetzt zwölf ist, zu fragen, ob er sich noch an diese Nacht erinnern kann.
    Warum?
    Amber glaubt nicht, dass sie die Einzige ist, die neugierig ist. Sie argwöhnt, dass heimlich alle darauf brennen, es zu erfahren – ganz sicher alle Frauen, die dabei waren. Hilary und Sabina fragen sich seit jener Nacht beide – das müssen sie einfach, wie könnte es anders sein –, ob die glückliche Ehe von Neil und Jo vielleicht nichts weiter ist als eine optische Täuschung. Auch Pam muss sich das gefragt haben, bevor sie im Januar an Leberkrebs starb.
    Und ist Amber wirklich die Einzige der Little Orchard-Reisegesellschaft, die immer noch aufmerksam zuhört, wenn William und Barney den Mund aufmachen, nur für den Fall, dass ihnen ein Hinweis entschlüpfen könnte? Wenn sich zwischen ihren Eltern oder in ihrem Haus irgendetwas Seltsames abspielen sollte, kann ihnen das nicht entgangen sein, helle, wie sie sind.
    Warum fragt Amber ihre Schwägerin nicht einfach, wenn sie so neugierig ist? Vielleicht würde Jo nach sieben Jahren einfach lachen und es ihr sagen. Das Schlimmste, was passieren könnte,
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