Der kalte Schlaf
praktischen Kleinkram, es gab Textbücher, in denen die jeweilige Rolle unterstrichen war …«
»Unglaublich, dass Dinah nichts gesagt hat.«
»Sie wollte uns erst zur Premiere ihres Stücks einladen, wenn feststand, dass sie nicht ins Wasser fallen würde.« Luke schenkt sich ein Glas Wein ein und setzt sich damit zu mir. Ich merke, wie wütend er ist. »Was es tat, so ziemlich sofort. Die Mutter einer Klassenkameradin beschwerte sich, weil ihre Tochter weinend nach Hause gekommen war, sie hatte nämlich keine der ›Schwestern‹-Rollen bekommen, im Gegensatz zu ihren beiden besten Freundinnen. Der Vater eines Mitschülers stürmte in Mrs Truscotts Büro und beschwerte sich über das widerliche Stück, das sein Sohn da mit nach Hause gebracht habe – es sei voller Grausamkeiten, Folter und geeignet, eine Pandemie von Schwesternhass auszulösen.«
»Folter? Jemanden aufzuziehen, weil er Rosa trägt? Das ist kaum The Killer Inside Me .«
»Du hast mich ja das Ende der Geschichte nicht erzählen lassen«, sagt Luke. »Leute werden in Schlamm gewälzt, gegen ihren Willen in Fischteiche gestoßen …«
»So was sollte im wirklichen Leben viel häufiger passieren.«
»Ein Mädchen war so aufgebracht darüber, nicht mal eine Nebenrolle bekommen zu haben, dass die Mutter drohte, sie aus der Schule zu nehmen und sie zu Hause zu unterrichten. Was dabei herauskam, kannst du erraten: Mrs Truscott teilte Dinah mit, ihr Stück verursache zu viel Ärger, und plötzlich war alles abgeblasen. Dinah war verärgert und hat überreagiert. Sie beschuldigte Mrs Truscott, ein prinzipienloser Feigling zu sein.«
Ich muss jetzt sehr vorsichtig sein. Luke ist verständlicherweise besorgt. Das bedeutet, ich darf unter keinen Umständen ausrufen: »Ha! Stimmt haargenau!« Allerdings habe ich das furchtbare Gefühl, dass mein Gesichtsausdruck mich verrät.
»Freut mich, dass es dir Spaß macht, denn es geht noch weiter. Dinah teilte Mrs Truscott mit, ein guter Anführer müsse stark und fair sein. Das hätten sie am Vortag in Geschichte gelernt. Stark bedeute, nicht nachzugeben, wenn Idioten Druck ausübten. Fair bedeute, keine Versprechen zu brechen, die man erst letzte Woche gegeben habe. Als sie als absolute Null und schlechter Mensch bezeichnet wurde, sagte Mrs Truscott offenbar sehr wenig. Sie kündigte nur an, dass sie uns anrufen und mit uns über den Vorfall sprechen würde.«
»Was sie nicht getan hat. Oder? Hast du den Anrufbeantworter abgehört?«
»Natürlich hat sie nicht angerufen! Sie schiebt es hinaus, weil sie Angst hat, etwas Vergleichbares oder noch Schlimmeres von dir zu hören.« Luke wirft mir einen strengen Blick zu. »Und das würde auch nichts bringen, Amber, so richtig es auch sein mag. Du brauchst gar nichts mehr zu unternehmen. Ich habe die Sache bereits geregelt.«
Ungläubig gebe ich einen unverbindlichen Laut von mir. Normalerweise verlangen die Dinge, die bereits von anderen Leuten geregelt wurden, am dringendsten nach meinem Eingreifen.
»Dinah und ich haben ein Abkommen«, erklärt Luke. »Sie wird sich gleich morgen früh bei der Schulleiterin entschuldigen. Sie wird es dann hoffentlich nicht mehr für nötig halten, etwas zu unternehmen. Ich glaube , ich konnte Dinah auch überzeugen, zu fragen, ob sie nicht ein neues Stück für die Weihnachtsfeier schreiben dürfe, eins, das etwas weniger …«
»Das ist doch Mist!« Ich bin voll mit Chili und hellwach, bereit, mich die ganze Nacht zu streiten. »Ein Stück über kleine Kätzchen und Lämmchen etwa, die einander herzen, mit süßen kleinen Schleifchen um ihre süßen kleinen Hälse?«
»Weißt du, das klang eben richtig bedrohlich.« Luke grinst mich an. »Das Stück werde ich mir auf gar keinen Fall ansehen. Ich fürchte mich. Diese Kätzchen und Lämmchen sind böse.«
»Dinahs und Nonies Tage auf dieser Schule sind gezählt.« Das habe ich schon öfter gesagt, und er glaubt nicht, dass es mein voller Ernst ist.
»Nein, sind sie nicht«, versetzt er aufreizend gelassen. »Es ist eine gute Schule.«
Die Schule, die ihre Mutter für sie ausgesucht hat . Das hat er nicht gesagt, aber ich höre es. »Eine gute Schule mit einer rückgratlosen Schulleiterin«, beharre ich eigensinnig. »Wie unser Abschiedsschreiben deutlich machen wird. Oder ich sprühe es auf ihre Bürotür, wo alle es sehen können, damit sie nicht weiter so tun kann, als wäre sie allgemein beliebt.«
»Guter Plan.« Luke nickt. »Zeig’s ihr, indem du verhinderst, dass
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