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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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die Mädchen eine möglichst gute Schulbildung bekommen. Konntest du etwa Französisch oder Spanisch, als du acht Jahre alt warst? Wusstest du, dass es eine einfache und eine komplexe Form der chinesischen Sprache gibt? Ich nicht. Dinah und Nonie ja. Nonie hat mir neulich erzählt, Jackson Pollock sei ein abstrakter Expressionist. Sie hat mir auch gleich erklärt, was das bedeutet.«
    »Was hast du ihnen erzählt?«, frage ich und lange nach der Weinflasche. »Wegen heute Nachmittag. Wo ich war.«
    »Dass du wieder zur Arbeit musstest, wegen einer dringenden Sitzung. Sie haben mir nicht geglaubt.«
    »Das überrascht mich nicht. Es ist eine ziemlich langweilige Lüge.«
    »Dann lass doch mal die interessante Wahrheit hören«, sagt Luke. »Was ist passiert?«
    Ich falle problemlos in mein übliches Muster und erzähle ihm fast alles. Sogar, dass Katharine Allen am zweiten November ermordet wurde.
    Von dem Verkehrserziehungskurs, der am selben Tag stattfand, dem Kurs, an dem ich nicht teilgenommen habe, sage ich nichts.
*
    Eine Viertelstunde später geht Luke ins Bett, und ich werde in den Teil des Abends gestürzt, vor dem mir am meisten graut: die Stunde zwischen halb elf und halb zwölf, in der ich allein zurückbleibe und wieder mal eine schlaflose Nacht vor mir liegt. Vor achtzehn Monaten, als es anfing, nahm ich an, die Begleiterscheinung, eine erstickende Panik, die nachts in mir aufwallt, würde sich als vorübergehend erweisen. Ich hoffte, dass ich entweder lernen könnte, wieder zu schlafen, oder mich daran gewöhnen würde, nicht schlafen zu können. Es würde leichter werden, psychisch und emotional. Aber es wurde nicht leichter, und ich mache mir nicht länger vor, dass es irgendwann leichter werden wird. Die kritische Stimme in meinem Kopf setzt ein, sofort nachdem Luke mir einen Gutenachtkuss gegeben und den Raum verlassen hat.
    Ja, zu dieser Zeit gehen normale Leute zu Bett. Sie gehen nach oben, ohne Angst, und ziehen sich ihren Schlafanzug an. Sie bekommen keine Schweißausbrüche, ihr Herz rast nicht, als würde es gleich explodieren, sie stellen nicht plötzlich fest, dass sie alle zehn Minuten ihre Blase entleeren müssen. Sie putzen sich die Zähne, gähnen, steigen ins Bett und lesen vielleicht noch ein paar Seiten, während ihnen schon die Augen zufallen. Dann machen sie das Licht aus und schlafen ein. Warum kannst du das nicht? Was stimmt nicht mit dir?
    Die ständig zunehmende Erschöpfung ist nicht das Schlimmste an der Schlaflosigkeit, bei Weitem nicht. Schlimmer sind die Einsamkeit und die verzerrte Wahrnehmung, die sie mit sich bringt. Wenn ich das sage, gucken die Leute oft erstaunt, und sie sind schockiert, wenn ich lang anhaltende Insomnie mit Einzelhaft vergleiche. Das Gehirn fängt an, sich selbst anzunagen wie eine verrückt gewordene Ratte, erläutere ich dann hilfsbereit. Ich hatte reichlich Zeit, mir eine passende Metapher auszudenken – also warum sie nicht anbringen, auch wenn die Gesprächspartner dazu neigen, sich mit der Bemerkung, sie hätten eigentlich schon vor zehn Minuten dringend irgendwo anders sein müssen, unauffällig zu verschwinden.
    Denk nicht daran, wie viele Minuten und Sekunden zwischen jetzt und halb sieben morgen früh liegen. Setz dich nicht vor die Uhr im Esszimmer und zähl die verrinnenden Minuten.
    Ich bleibe, wo ich bin – wo Luke mich widerstrebend zurückgelassen hat, im Schneidersitz auf dem Sofa – und schlinge schutzsuchend die Arme um mich selbst, aber die Gefühle, die ich damit abzuwehren gehofft hatte, kommen trotzdem: ein Gefühl tiefer Isolation, die üblichen Gewissensbisse, begleitet von der Überzeugung, dass diese Qual meine Strafe ist, Widerwillen über meine eigene Abnormität, ein Schrecken, der an nichts Bestimmtes gebunden ist, was alles nur umso beängstigender macht. Wie immer würde ich am liebsten Luke bitten, wieder herunterzukommen. Er wird noch nicht schlafen, er liegt sicher noch nicht mal im Bett. Wie immer erlaube ich es mir nicht und versuche stattdessen, mich darauf zu konzentrieren, gegen die Stimme anzukämpfen.
    Und wenn es heute noch schlimmer wird? Wenn ich heute gar keinen Schlaf bekomme, nicht einmal gelegentlich zwanzig Minuten dann und wann? Wenn ich irgendwann so müde werde, dass ich meine Arbeit nicht mehr schaffen kann? Dann werden wir das Haus nicht mehr abbezahlen können.
    Ich stemme mich vom Sofa hoch und gehe langsam ins Esszimmer, konzentriere mich auf meine Schritte, damit jeder Schritt länger

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