Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
begonnen, das Blut aus seinen langen weißen Haaren herauszuwaschen, und die Tropfen, die nun daraus zu Boden fielen, waren dunkel, fast schwarz.
»Was ist in dem Ei?«, schnarrte er leise. Enna schluckte, sie musste ihre Angst nicht vortäuschen.
»Ein – Wesen«, sagte Jorim und machte – absichtlich, wie Enna vermutete – zwei Schritte zurück.
Der Ghul beugte sich weiter zu ihnen herab. »Was für ein Wesen?«
»Ein Gulvar«, antwortete Enna.
Hanafehls Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ein Wesen der Suravan-Berge also.« Sein Blick wanderte zu Ennas Bauch. Schnell legte sie schützend ihre Hände auf das Ei und trat zurück.
Doch der Ghul folgte ihr. Enna konnte seine Ausdünstungen riechen: Schweiß, verwestes Fleisch, Tod.
Sie hatte nicht nur Angst, sie hatte panische Angst!
»Ganz gleich, ob Gulvar oder Drache!«, gurrte Hanafehl leise. »Es folgt demjenigen, den es als Erstes erblickt.«
Enna sah Jorim überrascht an, und auch der machte ein verblüfftes Gesicht. Dass das Wesen im Ei dem hörig war, den es zuerst erblickte, war lediglich eine gewagte Erfindung von ihr. Könnte es tatsächlich wahr sein?
»Ihr wusstet das nicht«, stellte Hanafehl fest. Der Ghul grinste und entblößte dabei spitze Reißzähne. »Nun, in meinem Volk erzählt man sich diese Legende schon seit langer Zeit.«
»Dann wird der Gulvar bald uns folgen«, rief Jorim herausfordernd. »Er hat nämlich schon von innen an die Schale geklopft und …«
Enna stieß Jorim rasch in die Seite, tat so, als wollte sie ihren Bruder daran hindern, noch mehr auszuplaudern. Doch Hanafehl hatte gehört, was er hören sollte, und Enna hoffte, er würde darauf hereinfallen. Wenn er tatsächlich glaubte, ein solches Wesen würde ihm folgen – umso besser!
Kurz hob der Ghul hellhörig den Kopf.
»Ich frage mich nur, was ihr Zervana erzählt habt«, sagte er schließlich, wobei er sich wieder zu den Halblingen herabbeugte und Enna einen Finger an die Stirn legte. »Ich könnte eure Schädel zerbrechen wie ein rohes Ei und hineinsehen«, er lachte über seine Worte, »doch das muss ich nicht. Ich weiß auch so, was in ihnen vorgeht!«
»Was habt ihr da zu bereden?«
Hanafehl schnellte herum. Ganz unvermittelt war Yorak aufgetaucht, seine Augen fixierten den Ghul mit unverhohlenem Hass.
»Ich habe nur in Eurem Sinne gehandelt, Yorak, Diener der Usurpatorin«, antwortete Hanafehl spöttisch. »Ich habe den Winzlingen lediglich klargemacht, dass Flucht zwecklos sei, denn ich würde sie zerquetschen wie«, er zögerte und grinste dann, »… wie ein rohes Ei.«
Ohne eine Entgegnung abzuwarten, stapfte der Ghul mit großen Schritten davon.
Yorak beachtete ihn nicht weiter und musterte stattdessen die beiden Halblinge.
»Er weiß von dem Ei«, sagte Enna und tat zerknirscht.
»Ihr solltet dieses Geheimnis nicht enthüllen.« Mehr sagte Yorak nicht und forderte die beiden zum Weitergehen auf.
»Der Ghul ist noch schrecklicher als dieser Erinya«, flüsterte Enna ihrem Bruder zu, wobei sie Yorak, der wenige Schritte vor ihnen herlief, nicht aus den Augen ließ.
»Allerdings!«, stimmte Jorim zu. »Fast könnte man meinen, ihm haftet noch die Qual all seiner Opfer an.«
Enna seufzte. »Ich kann diesen Hanafehl nicht einschätzen. Er hat nicht versucht, uns das Ei zu entreißen.«
»Ganz sicher wird er es nicht Zervana überlassen wollen«, meinte Jorim und stieg über einen Stein hinweg.
»Und sie es nicht diesem Ghul«, entgegnete Enna. »Yorak wird der Usurpatorin berichten, dass Hanafehl über das Ei Bescheid weiß.«
Jorim nickte und strich sich die nassen Haare aus der Stirn. »Jedenfalls ist die Zwietracht nun gesät, und die beiden werden einander belauern. Hanafehl wird sicher schon bald handeln.«
»Hoffentlich«, erwiderte Enna. »Denn wenn er mit Zervana offen spricht, so wie es Verbündete tun sollten, werden sie schnell feststellen, dass wir sie gegeneinander aufhetzen.«
»Das wird nicht geschehen. Im Grunde genommen hassen sie sich, und spätestens nach der Eroberung der Nordlande würden sie einander an die Gurgel gehen.«
»Ich hoffe nur, du hast recht.« Enna schüttelte den Kopf. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so weit gehen würde.« Sie fasste ihren Bruder am Arm. »Wir haben uns auf dünnes Eis begeben. Wir müssen vorsichtig sein, Jorim – sehr vorsichtig!«
»Es gibt da aber noch etwas, weswegen wir uns Sorgen machen sollten.«
»Was meinst du?«
Jorim wies mit der Hand unauffällig auf die
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