Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
wohl, und dies machte ihn neugierig. Auch das gehörte zu Ennas Plan.
Zervana wirkte skeptisch und blickte Enna und Jorim abwägend an.
»Woher glaubt ihr zu wissen, dass ein solch mächtiges Wesen überhaupt irgendjemandem folgen würde?«
»Wir wissen es nicht«, erwiderte Enna. »Es ist nur eine Vermutung unserer Gelehrten.«
Die Usurpatorin starrte sie an – sie schien angestrengt nachzudenken. Dann reichte sie Enna das Ei und wandte sich an Yorak. »Lass die beiden nicht aus den Augen. Sie dürfen das Ei behalten, zumindest so lange, bis ich entschieden habe, was ich damit mache.«
»Wie Ihr wünscht!« Yorak verneigte sich und betrachtete die beiden Halblinge mit ernster Miene. Enna hätte beim besten Willen nicht sagen können, was in ihm vorging.
»Wir ziehen weiter!«, befahl Zervana und stolzierte davon. Enna sah, dass ihr Blick Hanafehl flüchtig streifte. Noch brauchte sie diese abscheuliche Kreatur, doch ganz sicher würde sie sich nicht die Weltherrschaft mit ihm teilen. Irgendwann musste Zervana ihn loswerden. Was also würde sie tun?
Hanafehl allerdings hatte im Moment nur Augen für das Ei, und so steckte Enna es schnell wieder unter ihren Umhang. Vielleicht hatten die beiden ja angebissen. Wenn dem so war, hatte Enna die erste Saat der Zwietracht gesät.
»Du hast es mit Absicht getan, nicht wahr?« Jorim betrachtete Enna von der Seite, musste dann aber wieder auf den Weg achten. Trotz Regen und Dunkelheit waren die Erinyen und Ghule weitergezogen.
Enna nickte.
»Und ich dachte immer, ich wäre gerissen«, murmelte Jorim. »Das Schreckensweib weiß nicht, ob es dir trauen kann. Solltest du aber die Wahrheit sagen, könnte sie bald ein machtvolles Wesen an ihrer Seite wissen.«
»Oder sie würde bei dessen Anblick getötet werden, wenn es ein Gulvar ist«, ergänzte Enna. »Deshalb lässt sie das Ei vorerst bei mir, bis sie eine Entscheidung getroffen hat.«
»Sie wird aber keineswegs wollen, dass Hanafehl das Ei bekommt«, fuhr Jorim leise fort. »Dafür wird Hanafehl nun wissen wollen, was es damit auf sich hat. Was wirst du ihm sagen, wenn er dich fragt?«
»Dass es das Ei eines Gulvaren ist, der demjenigen folgt, den er als Erstes erblickt.«
Jorims Mundwinkel zuckten, er konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Glücklicherweise hielt er den Kopf gesenkt. »Aber Hanafehl wird versuchen, das Ei an sich zu bringen, und dann«, Jorim brach ab und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Lippen, und plötzlich hellten sich seine Gesichtszüge auf. »Aber natürlich!«, fuhr er fort. »Genau das ist es! Wir müssen nur dafür sorgen, dass Zervana oder Yorak das mitbekommen, und schon haben wir unseren ersehnten Streit herbeigeführt! Das könnte das Bündnis zerstören.« Jorim schüttelte den Kopf. »Aber ich sehe da noch ein kleines Problem.«
»Und das wäre?«
»Einen Bruch des Bündnisses werden weder Hanafehl noch Zervana vor der Eroberung der Nordlande riskieren. Und dann ist es zu spät für Westendtal.«
»Möglich«, gab Enna zu. »Dann müssen wir Hanafehl einfach klarmachen, dass der Gulvar schon in ein oder zwei Tagen schlüpft. Das wird ihn ein wenig unter Druck setzen.«
»Das müsste klappen.« Jorim schnalzte mit der Zunge. »Wir ritzen eine kleine Kerbe in die Oberfläche, dann sieht es so aus, als wäre es bald soweit.«
»Bist du verrückt?«, zischte Enna ihn an, lauter als beabsichtigt. Prompt sahen Yorak und Hanafehl zu ihnen herüber.
»Das ist kein Ei von einem dummen, in seinem eigenen Mist herumstaksenden Huhn, Enna«, sagte Jorim leise. »Die Schale ist dick und hart wie Stein!«
Enna widerstrebte der Gedanke, diesem Ei Schaden zuzufügen. Auch wenn sie schon bemerkt hatte, dass sich das Ei extrem robust anfühlte. Trotzdem war Jorims Plan riskant, und jemand könnte es bemerken.
»Also gut«, lenkte Jorim ein. »Erzähl dem blöden Ghul einfach, das Wesen im Ei bewege sich bereits, du könntest es durch die Schale spüren. Und dann brauchen wir nur noch eine Gelegenheit, um mit diesem ekelhaften Ghul darüber zu sprechen, was es mit dem Ei auf sich hat!«
Auf diese Gelegenheit mussten sie nicht lange warten. Als Zervana bald darauf Yorak zu sich rief, ließen sich Jorim und Enna ein wenig zurückfallen. Hanafehl, der sich nie weit von den beiden Halblingen entfernte und sie seit ihrem Gespräch mit Zervana noch neugieriger beobachtete, war mit wenigen großen Schritten bei ihnen.
Groß und düster baute sich der Ghul vor ihnen auf. Der Regen hatte
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