Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Päuschen?«
»Bald«, kam die Antwort gedämpft durch den Nebel zurück.
»Ich will aber jetzt Rast machen«, beharrte Elvor trotzig.
»Bald!«
»Nein jetzt!«
»Wir gehen weiter.«
»Fragen wir doch die anderen«, schlug Elvor vor.
»Ich frage niemanden!«
»Aber ich! Also, werte Enna, Jorim, Jul, was meint ihr?«
»Ich gebe es ja nicht gerne zu, Nespur«, sagte Jorim zerknirscht, »aber ich bin mit Elvor ausnahmsweise einer Meinung.«
Nespur blieb stehen und drehte sich so abrupt um, dass Jul erschrak und einen Schritt zurückstolperte, seine blonden Haare klebten ihm wirr im Gesicht.
Der Fährtenleser funkelte die anderen an und hob einen Finger. »Hört ihr das?«
»Was meinst du?«, wollte Enna wissen.
»Lauscht in den Nebel.« Nespur legte den Kopf schräg. »Was hört ihr?«
Alle horchten gebannt, und schließlich war es Enna, die antwortete. »Es klingt, als würde jemand atmen.«
»Das ist doch sicher nur der Wind«, meinte Elvor, trat aber ein wenig beunruhigt von einem Bein aufs andere.
Jorim schüttelte den Kopf. »Der Wind ist schon lange verstummt.«
»Genauso wie das klagende Rufen der Bergdohlen«, ergänzte Jul.
»Nein, Elvor – das ist nicht der Wind«, flüsterte Nespur. »Wir haben den höchsten Punkt der Schroffen Berge erreicht. Wäre es nicht nebelig, könntet ihr erkennen, dass dieses Plateau alle anderen überragt. Hier lebt der große Geist des Gebirges.« Nespur machte einen Schritt auf die anderen zu, und seine Stimme wurde noch eindringlicher. »Man sagt, tagsüber wird er zum Berg, wird zu dem grauen Gestein selbst, schläft und träumt. Nachts allerdings erwacht er und stapft als grauer Riese über die Gipfel der Berge. Auf welches Wesen er dann auch treffen mag: Er verwandelt es zu Stein und nimmt es mit in sein ewiges, felsiges Reich. Es ist sein Atem, den ihr da hört.«
Nicht nur Jorim, sondern auch die anderen sahen sich verängstigt um, wenn sie in dem dunstigen Grau auch nicht viel erkennen konnten.
»Wie kommt es, dass ich davon noch nie gehört habe?«, fragte Jorim zaghaft.
»Weil du kein vielgereister Wanderer bist, der die Geheimnisse dieser Welt erforscht hat«, erwiderte Nespur und deutete dann mit dem Finger auf Elvor. »Also: Bald rasten wir.«
Elvor grinste schief, doch dieses Mal widersprach er nicht. Die fünf liefen weiter, und Jorim glaubte, den angeblichen Atem des Geistes der Berge immer lauter zu vernehmen – ja, er übertönte bald sogar das Knurren seines Magens. So nahm er seinen Hunger in Kauf, ebenso wie die anderen, denen man deutlich anmerkte, wie unwohl sie sich fühlten. Die Härchen auf Jorims Armen hatten sich aufgestellt, und jedes Mal, wenn er ein Felsgebilde sah, glaubte er, darin eine unglückselige Kreatur zu erkennen, die den felsigen Atem des Berggeistes zu spüren bekommen hatte.
Der Mittag ging in den Nachmittag über und der Nachmittag in den Abend. Endlich veränderte sich die Landschaft. Zwar wurde die Sicht nicht besser – im Gegenteil, durch den schwindenden Tag wurde das dunstige Grau noch dunkler –, doch führte ihr Weg sie nun spürbar bergab. Ein großer Schrecken durchfuhr die Halblinge, als sich aus der wabernden Düsternis die erste, verkrüppelte Tanne herausschälte. Der Baum, der sich auf einem Findling festkrallte, sah aus wie ein groteskes Wesen, das auf dem Felsblock stand und unbedachten Reisenden auflauerte.
»Dieser Baum markiert die Grenze des Hochplateaus«, erklärte Nespur. »Gleich können wir rasten«.
Tatsächlich marschierte Fährtenauge nur noch ein wenig talwärts, dann ließ er die Halblinge endlich im Schutz eines Nadelgehölzes anhalten.
Einer nach dem anderen lösten sie das Seil und ließen sich auf den weichen Boden plumpsen.
»Ich hab einen Riesenhunger«, klagte Jorim. »Ich könnte eine ganze Wagenladung von Rimbors Eintopf verschlingen.«
»Und ich eine weitere«, pflichtete ihm Enna bei.
»Aber nur, wenn ich euch die nicht vor eurer Nase wegesse.« Elvor, der ebenfalls auf den weichen, mit Nadeln übersäten Boden gesunken war, zog einen platt gedrückten Pilz unter seinem Hintern hervor.
»Schade«, meinte er, als er die stark lädierte Waldfrucht hochhob und begutachtete.
»Ein Bergglattling«, stellte Jul fest und seufzte. »Der schmeckt hervorragend, selbst wenn man ihn in rohem Zustand verspeist.«
»Jetzt ist er ungenießbar«, schimpfte Enna und begann, ihren Proviant auszupacken.
Kurz darauf war nur noch ein leises Schmatzen zu hören, während alle
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