Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
wieder zu. »Du kannst mir helfen, die Geschehnisse hier in den Südlanden einzuschätzen. Wir müssen wissen, ob die erschreckenden Berichte jener, die diesem Terror entronnen sind, wirklich der Wahrheit entsprechen. Unser Volk im Norden ist sehr besorgt.« Alvendorah deutete auf ein nahe gelegenes Wäldchen. »Dort oben lagert eine Gruppe von Halblingen, denen ich seit einiger Zeit folge. Trotz der Gefahr und der Zerstörung ziehen sie durch diese Länder. Ich möchte mehr über sie erfahren.«
Gwendalon Andoah, der oberste Beschützer ihres Hauses, verneigte sich, und ein Lächeln legte sich über sein Gesicht.
»So möge es sein, und mein Herz kann nun sowohl meiner Pflicht, als auch Euch folgen.«
Alvendorah sah zu Gwendalon auf. So lange sie denken konnte, war er der stille Behüter des Hauses Enduriel und ihrer Familie gewesen. Sie hatte sehr wohl bemerkt, dass seine Blicke sie häufiger trafen, seit sie dem Kindesalter entwachsen war. Doch ihn nun ganz für sich allein zu haben, war eine neue Erfahrung für sie. Obwohl ihr warm ums Herz wurde, wenn er mit ihr sprach, konnte sie sich ihren Gefühlen noch nicht wirklich öffnen. So erwiderte Alvendorah nichts, sondern nickte nur. Dann ging sie zusammen mit ihrem Begleiter in Richtung des Wäldchens, fort von diesem entsetzlichen Dorf, in dem noch immer die Seelen der Getöteten umherirrten.
11. ENTHÜLLUNGEN
»Arboron.« Zervanas kühler Blick glitt über die einstige Hauptstadt der Menschen. Sie betrachte die vielen Paläste, die teilweise durch Brücken miteinander verbunden waren, die unzähligen verspielten Türmchen, die sich wie erbärmliche zerbrechliche Finger in den Himmel streckten. Viele wurden noch immer von Baugerüsten verunstaltet, die offenbar einem Wettstreit der Bewohner um das prächtigste Gebäude geschuldet waren. Hätten die eitlen Menschen sich mehr um ihr Heer und die Verteidigungsanlagen gekümmert und zum Beispiel eine Schutzmauer um die Stadt herum errichtet, könnte Arboron noch immer Arboron heißen. Doch diese Zeit war vorbei.
Von hier aus, vom einstigen Palast des Menschenkönigs, konnte Zervana die große Stadt mit ihrem Gewirr von Straßen überblicken. Der Königspalast lag auf einem kleinen Hügel und mutete eher wie die Sandburg eines Kindes an, das in seiner Naivität niemals daran gedacht hatte, das Bauwerk gegen Feinde zu schützen.
Ein hämisches Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Zervanador«, flüsterte sie schließlich. »Das klingt doch wesentlich besser. Unter dem Namen führe ich diese klägliche Stadt zu wahrer Größe. Zervanador soll ein Wahrzeichen meiner Macht werden.«
Sie wandte sich von der Mauerbrüstung ab und blickte auf das steinerne Podest in der Mitte des Palastturmes. Dort ragte eine steinerne Erinyen-Hand in die Höhe, die eine lodernde, mit Öl befeuerte Fackel hielt – ein Zeichen, das an die jetzige Herrscherin der Südlande erinnern sollte. Dies war Zervanas Einfall gewesen, und sie war stolz darauf.
Dennoch gab es etwas, das ihre Zufriedenheit störte und sie ärgerte. Sie flanierte zur Südseite des Turms und blickte schließlich nach Südwesten, dorthin, wo das steinige Barantor hinter einigen spitz gezackten Bergen lag.
»Die dritte Nacht ist fast vergangen«, sagte eine Stimme hinter ihr, als ob sie das nicht wüsste. »Und noch immer keine Nachricht von den Ghulen.« Yorak stellte sich neben sie und schaute ebenfalls über das morgendliche Zervanador hinweg nach Südwesten. »Was gedenkt Ihr zu tun?« Er sah sie mit seinen an pechschwarze Kohle erinnernden Augen an. »Ziehen wir ohne die Ghule in die Nordlande?«
»Nein, wir warten.«
»Warten? Hanafehl hat sein Wort gebrochen. Damit ist er kein verlässlicher Verbündeter.«
Kurz krallten sich Zervanas Fingernägel in den Stein der Brüstung, doch dann entspannte sie sich. »Wir warten auf die Ghule, jetzt erst recht. Mit seiner Verspätung will Hanafehl mir nur zeigen, dass ich ihn nicht beherrschen kann. Doch er ist gierig, und bald schon wird er sich an unsere Seite stellen.«
Es amüsierte Zervana zu sehen, wie Yoraks emotionsloses Gesicht einen fragenden Ausdruck annahm.
»Wir werden die Ghule mitnehmen und sie zur Schlachtbank führen«, fuhr sie fort. »All unsere Feinde werden fallen. Sie werden sterben und ihr Leben zwischen Geißel und Fackel aushauchen.«
»Dann sei es so, wie Ihr es wünscht«, entgegnete Yorak und wandte sich ohne eine Verbeugung ab.
»Yorak«, rief ihm Zervana hinterher. Sie
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