Der Kampf des Geisterjaegers

nicht hergab, würde keine Hexe die Truhen öffnen können.
    Nachdem auch Alice in den Tunnel gekommen war, krabbelte Mab, ohne weitere Zeit zu verschwenden, auf allen vieren weiter, und wir folgten ihr so schnell wie möglich. Als Lehrling des Spooks war ich schon in einigen Tunneln gewesen, aber noch nie in einem so engen und bedrückenden wie diesem. Er hatte keinerlei Stützen, und ich musste mich zwingen, nicht an die großen Erdmassen über uns zu denken. Wenn der Tunnel einstürzte, wären wir hier unten im Dunkeln gefangen. Wir würden entweder schnell zerquetscht werden oder einen langsamen, entsetzlichen Tod durch Ersticken erleiden.
    Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Wir schienen eine Ewigkeit durch diesen Tunnel zu kriechen, doch schließlich gelangten wir in eine Kammer, die hoch genug war, dass wir uns aufrichten konnten. Einen Augenblick lang dachte ich, dass wir uns direkt unter dem Turm befanden, doch dann sah ich, dass genau vor uns ein weiterer Gang lag. Anders als der, durch den wir gerade gekommen waren, war dieser hoch genug, um darin aufrecht laufen zu können, und seine Decke war mit stabilen Holzpfosten abgestützt.
    »Nun«, meinte Mab. »So weit bin ich bisher gekommen. Riecht nicht gut, dieser Tunnel ...«
    Damit beugte sie sich vor und schnüffelte dreimal laut. Ich fragte mich, wie gut sie darin war. Der Spook hatte mir einmal gesagt, dass diese Fähigkeit bei jeder Hexe anders ausgeprägt war. Nach kurzem Schnüffeln wandte sie sich ab und erschauderte. »Da drin ist was Nasses und Totes«, erklärte sie. »Der gefällt mir gar nicht, der Tunnel.«
    »Sei kein Schwächling, Mädchen«, spottete Alice. »Lass mich auch mal in den Tunnel schnüffeln. Zwei Nasen sind besser als eine - ist doch so, oder?«
    »Klar - und beeil dich«, stimmte Mab zu und blickte nervös in den Tunnel.
    Alice verlor keine Zeit. Nach kurzem Schnüffeln lächelte sie. »Da ist nicht viel, was wir fürchten müssten. Mit dem Nassen und Toten werden wir fertig, schließlich hat Tom seinen Eschenstab. Das sollte es in Schach halten. Also los, Mab, du gehst voran. Wenn du nicht zu viel Angst hast. Ich hätte gedacht, dass die Mouldheels aus härterem Holz geschnitzt sind.«
    Einen Augenblick lang sah Mab Alice wütend an und verzog den Mund, doch dann ging sie uns voraus in den Gang. Ich umklammerte meinen Eschenholzstab. Irgendetwas sagte mir, dass ich ihn brauchen würde.

Kapitel 14
Der Wicht
    Wenn der Wächter des Tunnels nass und tot war, dann war es wahrscheinlich ein »Wicht« und im Tunnel stand sicherlich Wasser. Im Bestiarium des Spooks hatte ich etwas über Wichte gelesen: Sie waren in unserem Land sehr selten, aber auch sehr gefährlich. Sie wurden von Hexen geschaffen, indem sie mithilfe dunkler Magie die Seele eines ertrunkenen Seemanns an seinen Körper banden. Dadurch verweste der Leichnam nicht, wurde aber vom Wasser ganz aufgedunsen und unglaublich stark. Normalerweise waren sie blind, da ihre Augen von den Fischen gefressen worden waren, aber sie verfügten über ein ausgezeichnetes Gehör und konnten ein Opfer an Land ausmachen, während sie selbst noch unter Wasser waren.
    Ich wollte gerade Mab folgen, als mir Alice mit einer Handbewegung bedeutete, zurückzubleiben und sie vorangehen zu lassen. Mir war klar, dass sie etwas vorhatte, aber ich wusste nicht, was, also ließ ich sie gewähren und hoffte, dass sie wusste, was sie tat.
    Mir schien es, als würden wir stundenlang durch den Tunnel laufen, doch schließlich wurden wir langsamer und kamen dann ganz zum Stehen.
    »Das gefällt mir nicht«, rief Mab. »Da vorne ist Wasser. Riecht übel. Sieht ganz und gar nicht sicher aus ...«
    Ich zwängte mich neben Alice, damit wir beide über Mabs Schulter sehen konnten. Ich hatte erwartet, fließendes Wasser zu sehen, vielleicht einen Bach oder unterirdischen Fluss, den sie nicht überqueren konnte. Stattdessen verbreiterte sich der Gang zu einer ovalen Höhle mit einem kleinen See. Das Wasser reichte fast bis zu den Wänden der Höhle, doch auf der linken Seite lief ein schmaler, matschiger Pfad entlang, der sich dem Wasser zuneigte. Er sah sehr glitschig aus.
    Der See machte mir Sorgen. Das Wasser war trübe und schlammig und die Oberfläche kräuselte sich etwas, wie man es bei einem leichten Wind erwarten würde. Aber wir waren unter der Erde und die Luft war still und ruhig. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass der See sehr tief war. Lauerte da etwas Gruseliges unter der Oberfläche? Ich dachte