Der Kampf des Geisterjaegers
er war verhungert? Plötzlich wurde mir kalt, und eine schmale Lichtsäule erschien über dem Skelett, aus der sich ein gequältes Gesicht formte.
Das Gesicht verzog sich und versuchte zu sprechen, aber statt Worten hörte ich nur ein gepeinigtes Heulen. Der Gefangene war tot, wusste es aber nicht und war daher immer noch in dieser Zelle gefangen und litt genauso schlimm wie in seinen letzten Tagen. Ich hätte ihm gerne geholfen, aber im Moment waren andere Dinge wichtiger. Wie viele Geister gab es hier noch, die befreit werden mussten? Es würde Stunden dauern, mit jeder gequälten Seele zu sprechen und sie dazu zu überreden, auf die andere Seite zu gehen.
Mithilfe der Kerze überprüfte ich alle Zellen. Scheinbar war lange Zeit keine davon benutzt worden. Insgesamt waren es sechzehn und nur in sieben davon lagen Knochen. Am Ende des Ganges lauschte ich sorgfältig. Alles, was ich hören konnte, war das leise Tropfen von Wasser, daher drehte ich mich um und winkte Alice heran. Ich wartete, bis sie Mab zu mir gebracht hatte, und betrat dann nervös den Raum am Ende des Ganges. Das Kerzenlicht leuchtete nicht bis in alle dunklen Ecken des großen Gewölbes. Von oben tropfte irgendwo Wasser auf die Fliesen und die Luft war feucht und kalt.
Auf den ersten Blick schien der Raum verlassen. Es war eine große, kreisförmige Kammer, von der aus sich ein weiterer Gang fortsetzte, der genauso aussah wie der, den ich eben erforscht hatte. Allerdings verliefen entlang der Wand Steinstufen, die zu einer Falltür in der Decke führten, durch die man in das Stockwerk darüber gelangte. Fünf große runde Säulen stützten diese Decke und an jeder von ihnen hingen viele Ketten und Eisenringe. Außerdem sah ich ein Kohlebecken mit kalter Asche und einen schweren Holztisch mit einer Reihe von Metallzangen und anderen Instrumenten.
»Hier foltern sie ihre Feinde«, sagte Alice. Ihre Stimme hallte in der Stille nach. Dann spuckte sie auf die Fliesen. »Es ist nicht schön, aus so einer Familie zu stammen ...«
»Ja«, stimmte Mab zu. »Vielleicht sollte sich Tom seine Freunde sorgfältiger auswählen. Wenn du unbedingt eine Hexe als Freundin willst, Tom, dann gibt es bessere Familien, aus denen du dir eine aussuchen kannst.«
»Ich bin keine Hexe!«, widersprach Alice und zog Mab so heftig an den Haaren, dass sie aufschrie.
»Lasst das!«, zischte ich. »Wollt ihr, dass sie uns bemerken?«
Die beiden Mädchen sahen beschämt drein und hörten auf zu streiten. Ich sah mich um und schauderte bei dem Gedanken, was in dieser Kammer vor sich gegangen sein musste. Ein Kälteschauer nach dem anderen lief mir über den Rücken. Viele der Toten, die hier gelitten hatten, waren immer noch an diesem Ort gefangen.
Zuerst mussten wir den anderen Gang überprüfen. In sechzehn Zellen hatte ich bereits gesehen, aber ich musste sie alle durchsuchen, denn in einer der anderen konnte meine Familie sitzen. Demnach zu urteilen, was ich von den Verliesen gesehen hatte, vermutete ich das Schlimmste, aber ich musste es genau wissen.
»Ich überprüfe auch noch die anderen Zellen«, sagte ich zu Alice. »Das wird eine Weile dauern, aber ich muss es tun ...«
»Natürlich, Tom«, nickte Alice. »Aber da wir nur eine Kerze haben, bleiben wir dicht bei dir.«
Kaum hatte sie ausgesprochen, als von oben heiseres Gelächter ertönte - eine männliche Stimme, rau und derb, gefolgt von schrillem weiblichem Lachen, das in einem Kichern endete. Wir erstarrten. Es schien geradewegs von der Falltür zu kommen. Kamen die Malkins hinunter in die Verliese?
Zu meinem Erstaunen durchbrach Mab unser angespanntes Schweigen. Sie gab sich nicht einmal Mühe, ihre Stimme zu dämpfen.
»Keine Sorge, Tom«, meinte sie. »Die kommen hier nicht runter. Nicht jetzt - das verspreche ich dir. Das habe ich hellgesehen. Du verschwendest deine Zeit, Tom. Da oben finden wir deine Familie.« Sie wies zur Decke hinauf.
»Warum sollten wir auf dich hören?«, zischte Alice. »Hellsehen, also wirklich! Den Wicht hast du nicht hellgesehen, oder?«
Ich ignorierte ihre Streitereien. Alice hatte mir gesagt, dass Mab immer ihr Wort hielt. Vielleicht hatte sie recht, aber ich musste mich selbst davon überzeugen, und es schien mir offensichtlich, dass sich im Stockwerk über uns Hexen aufhielten. Also begann ich schweren Herzens, den zweiten Gang zu durchsuchen. Die ganze Zeit über fürchtete ich, dass sich jeden Moment die Falltür öffnen könnte und die Malkins herunterkämen, um
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