Der Katalysator
Wochen. Sie wissen natürlich, daß die Situation dadurch recht schwierig wird. Ich werde einen anderen Gruppenleiter finden müssen. Und ich werde Sie irgendwie beschäftigen müssen. Sie und Ihre Leute sind mit ihren Projektberichten übrigens ein paar Wochen im Rückstand. Wenn Sie das übernehmen könnten, würde ich einen ruhigen Arbeitsplatz für Sie finden. Schreiben Sie die Berichte in Langschrift. Mrs. Pinkster wird dafür sorgen, daß sie getippt werden.“
13
Das Loch
Serane bekam ein behelfsmäßiges Quartier in einem kleinen Büro in der zweiten Etage neben dem HCN-Raum. Hier arbeiteten gelegentlich solche Chemiker, die das Labor demnächst verlassen würden. Der Raum hatte einen Namen: das Loch.
Die Arbeit im Loch war oftmals hilfreich bei der Definition dessen, was man war und wo man gewesen war. Hier war die letzte Station auf der Straße nach Nirgendwo.
Paul hatte den Raum schon gesehen. Er kannte seinen Ruf. Jetzt stattete er ihm einen kurzen, aber feierlichen Besuch ab.
Er hatte die Geschichten gehört. Vor Jahren war dies das Büro des alten Dr. Krug gewesen, der die kleine HCN-Gruppe geleitet hatte. Eines Morgens hatte man ihn über seinen Schreibtisch zusammengesunken gefunden (über eben diesen Schreibtisch), Gesicht und Finger bläulich gefärbt. Niemand hatte je feststellen können, wie das HCN aus der HCN-Kammer in das angrenzende Büro hatte gelangen können, aber ganz offensichtlich war es ihm gelungen.
Der Sicherheitsbeauftragte schaffte Abhilfe, indem er Leichnam und Tür entfernen ließ, so daß das kleine Büro nun für jedermann offenstand und sich in seinem winzigen Innern keine Gase mehr ansammeln konnten.
Die Einrichtung im Loch bestand aus einem Tisch, einem Stuhl, einem Visi und einem Aschenbecher.
Die Schubladen des Schreibtisches ließen sich nicht öffnen. Es gab ein Fenster, doch keine Jalousie. Die Sonne brannte heiß in das Gesicht dessen, der dort arbeitete. Es gab weder Klimaanlage noch Heizung.
Das Fenster ließ sich nicht öffnen, und im Sommer konnte die Raumtemperatur nachmittags leicht auf vierzig Grad ansteigen. Im Winter war es meistens erforderlich, mehrere Pullover zu tragen. Während des großen Schneesturms im Jahre 1997 hatte jemand eine Flasche mit Zeichentusche auf dem Tisch stehenlassen. Sie war gefroren und zerplatzt, und der Tintenfleck verunzierte noch immer die Tischplatte.
Paul sah das Zimmer, und das Herz drehte sich ihm im Leibe herum.
Serane beklagte sich nicht. Er brach den Schreibtisch auf und säuberte ihn sorgfältig. Dann benetzte er jeden erreichbaren Winkel seiner Zelle mit einem Desinfektionsmittel. Er putzte das Fenster, brachte eine Jalousie an und ließ sich aus dem Lager einen zweiten Stuhl bringen.
Er schien sich seiner Degradierung nicht bewußt zu sein. In den ersten paar Tagen pflegte Kussman hereinzuschauen und ihm einen guten Morgen zu wünschen. Aber Serane war immer so fröhlich, daß der Laborchef diese Aufgabe schließlich an Humbert delegierte.
Paul war einer der ersten Besucher, die am Morgen nach Seranes Umzug herkamen. Er grinste befangen. „Dürfen Sie hier Schach spielen?“ Serane grinste zurück. „Wenn es ihnen nicht paßt, sollen sie mich feuern. Kommen Sie heute mittag herauf.“ Paul zögerte. „John, wie lange müssen Sie …?“
„Sechs Wochen. Vorausgesetzt, daß ich ruhig hier sitzenbleibe und Berichte schreibe. Laborarbeit darf ich nicht machen. Ich darf nicht einmal ein Reagenzglas anfassen. Wenn ich brav bin, habe ich sechs Wochen.“
In der zweiten Woche ließ Kussman das Visi abmontieren und verbreitete die Anweisung, die Leute sollten aufhören, Serane zu
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