Der Katalysator
hundert Meter weit durch die Gänge.
Aber es kümmerte sie nicht. Nichts kümmerte sie mehr. Mary wußte genau, was sie zu tun hatte. Beim nächsten Trinkwasserstand blieb sie stehen, knöpfte ihre Jackentasche auf, zog das kleine Päckchen hervor und riß die Umhüllung in einer resoluten Gebärde mit den Zähnen auf. Die leuchtende Pille fiel in ihre Hand. Sie legte den Kopf zurück und öffnete den Mund.
Eine eiserne Faust schloß sich um ihre Hand.
Erschrocken fuhr sie herum.
Es war Paul.
„Nein!“ flehte sie. „Lassen Sie mich los!“
Sein Gesicht war grimmig und weiß. Mit gepreßter Stimme sagte er: „Wir werden Ihnen nicht das Vergnügen verschaffen, Sie hier draußen tot aufzufinden.“
Sie zitterte und wischte sich mit der freien Hand über die Augen. Ohne sich zu sträuben, ließ sie ihn die Pille aus ihrer Hand nehmen, auf den Boden werfen und mit dem Absatz zertreten.
„Und jetzt“, sagte er, „müssen wir entscheiden, was wir mit Ihnen anfangen sollen. Soll ich Sie ins Krankenhaus bringen? Oder in Ihre Wohnung?“
„Ich will nach Hause.“
„Ich sorge dafür, daß eines der Mädchen bei Ihnen bleibt.“
„Nein. Ich will niemanden.“
„Werden Sie brav sein?“
„Ja. Aber erzählen Sie es nicht Dr. Serane.“
„Okay. Ich werde ihm einfach sagen, Ihnen sei schlecht geworden und ich hätte Sie nach Hause gefahren.“
Eine Stunde später wußte es das ganze Labor. Serane war auf dem absteigenden Ast. Er hatte nicht mehr die Macht, seine Leute zu schützen.
Mary blieb tatsächlich bei der Firma. Serane beschaffte ihr eine Stelle bei einem Vizepräsidenten in der Public-Relations-Abteilung in New York, und sie zog nach Manhattan. Niemand stellte Humbert irgendwelche Fragen, obgleich er ihre Akte zwei Wochen lang auf seinem Tisch liegen ließ und nur allzu glücklich gewesen wäre, Fragen über sie zu beantworten.
O wie herrlich das doch ist, dachte Kussman. Serane saß vor seinem Schreibtisch, auf dem Stuhl, den Kussman dort für Untergebene hingestellt hatte. Es war ein Stuhl ohne Armlehnen. Er stand im Licht eines gleißenden Spots, und die metallene Sitzfläche war nach vorn geneigt. Seranes Gesicht erschien unverbindlich, aber unter dieser Oberfläche schimmerte es düster. Er saß nicht auf der Stuhlkante und beugte sich auch nicht respektvoll vor, wie es die Etikette verlangte, aber das war eigentlich unwichtig. Es erfüllte Kussman mit einer ungeheuren Befriedigung, ihn hier zu haben, auf diesem Stuhl, ganz gleich, unter welchen Bedingungen. O Serane, ich habe dich geschlagen. Ich habe gewonnen. Du bist auf dem Schrottplatz gelandet. Es wird dir leid tun, überhaupt geboren zu sein.
„Ich werde ohne Aufsehen kündigen“, sagte Serane. „Ich überlasse es Ihnen, den Zeitpunkt zu bestimmen. Wenn Sie es wünschen, kündige ich mit sofortiger Wirkung.“
Kussman runzelte die Stirn. Er hatte nicht damit gerechnet, daß es so verlaufen würde. Es gefiel ihm nicht, wie Serane direkt zum Kern der Sache vorgedrungen war. Für das, was er im Sinn hatte, war es von wesentlicher Bedeutung, daß Serane noch ein paar Wochen blieb. Wenn Serane fristlos kündigte, war seine sorgfältig geplante Rache beim Teufel. Er beugte sich vor. „Haben Sie schon eine neue Stelle?“
„Nein, natürlich nicht. Ich habe nicht einmal angefangen, mich umzusehen.“
Kussman entspannte sich. Er lächelte. Es war ein gutes Lächeln, voll von optimistischer Innigkeit. Er schaute hinaus über die weiten Rasenflächen auf den Verkehr auf der Post Road. „Es tut mir leid, daß es dazu gekommen ist. Aber Sie müssen am besten wissen, wo Ihre Zukunft liegt. Wir können Ihnen eine angemessene Frist zum Suchen einräumen – sagen wir, bis zu sechs
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