Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
seinen Vorsprung ausgebaut hatte. Der Typ verfügte über eine beneidenswert gute Kondition. Trotz des hohen Tempos, das er vorlegte, wirkte sein Laufstil leichtfüßig und elegant. So, als könnte er noch stundenlang in dieser Geschwindigkeit weiterrennen. Und genau das bereitete mir Sorgen. Ich schnaufte nämlich bereits nach wenigen Metern wie eine alte Dampflok.
Mist, verdammter, das war nicht fair! Von Chancengleichheit konnte keine Rede sein. Wenn Ludger einen Schritt machte, musste ich mindestens zwei oder drei machen.
Vielleicht würde es mir ja gelingen, ihn durch lautes Rufen auf mich aufmerksam zu machen. »Ludger, Ludger!«, japste ich, sehr zur Belustigung einiger Spaziergänger, die wohl annahmen, dass mein Freund mich beim Joggen abgehängt hatte und das arme Frauchen nun sehen musste, dass es nicht vollends den Anschluss verpasste.
»Hopp, hopp, hopp!«, feuerten mich ein paar Teenager von einer Parkbank aus an, wo sie mit Bierflaschen und Kippen im Mund ein kleines Sit-in veranstalteten. »Komm, Alte, gib Stoff, dann kriegste deinen Macker noch!« Wahrscheinlich hatten sie Wetten darüber abgeschlossen, ob es mir gelingen würde, Ludger einzuholen oder nicht. Wer sich den Verstand noch nicht völlig weggekifft hatte, würde wohl keinen Pfifferling auf mich setzen.
Viele grinsende Gesichter zogen am Wegesrand an mir vorüber. Schlimmer als die Heiterkeitsausbrüche waren jedoch die teils mitleidigen, teils verständnislosen Blicke, die mir einige Geschlechtsgenossinnen zuwarfen. Wie konnte man sich von einem Kerl nur so mies behandeln lassen …?
Während mir sehr wohl bewusst war, dass wir in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt waren und wie eine Jahrmarktsattraktion begafft wurden, schien Ludger von alldem nichts mitzukriegen. Er zeigte keine Reaktion und joggte seelenruhig und für meinen Geschmack viel zu schnell weiter.
»Ludger!«
Meine Güte, war der Kerl taub? Er sollte sich mal wieder die Ohren waschen – und nicht nur mit dem Zeigefinger darin rumbohren. Zeitgleich mit den Seitenstichen kam auch die Erleuchtung: Ludger trug Kopfhörer, an denen er von Zeit zu Zeit herumfummelte. Kein Wunder, dass er mich nicht hören konnte!
Meine Kraftreserven gingen langsam aber sicher zur Neige. Bei jedem neuen Atemzug hatte ich das Gefühl, mir würde jemand ein Messer zwischen die Rippen rammen. Doch aufgeben? Nie im Leben! Ludger durfte auf gar keinen Fall entwischen. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn mir der Mann meines Lebens durch die Lappen gegangen wäre, nur weil ich mich von läppischen Seitenstichen hatte kleinkriegen lassen!
Erst neulich hatte ich in einer Frauenzeitschrift gelesen, dass die Liebe Flügel verleiht. Alles erstunken und erlogen! Ich konnte förmlich spüren, wie die Blase an meiner Ferse immer größer wurde. Doch ich biss die Zähne zusammen und rannte, als ginge es um mein Leben. Der Abstand zwischen Ludger und mir verringerte sich Meter um Meter. Endspurt!
Ich meinte schon fast, Ludgers Schweiß riechen zu können, als ich plötzlich auf ein unerwartetes Hindernis stieß. Unwillkürlich drosselte ich mein Tempo. Auch das noch! Von links war ein Mann mit einem Hund aufgetaucht.
Mir rutschte das heftig pochende Herz in die Hose. Der Rottweiler sah aus, als würde er kleine Kinder zum Frühstück verspeisen. Aber gegen eine Joggerin für den kleinen Hunger zwischendurch hatte er bestimmt auch nichts einzuwenden.
»Aus dem Weg!« Um meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, fuchtelte ich mit den Armen in der Luft herum. Eine Fliege hätte sich auf diese Weise vielleicht verscheuchen lassen, doch der Rottweiler und der Mann, der das Kalb an der Leine spazieren führte, rührten sich keinen Zentimeter von der Stelle. Je näher ich dem Gespann kam, desto mulmiger wurde mir. So also fühlte sich ein Kaninchen, das dem Jäger geradewegs vor die Flinte taumelte.
Der Rottweiler bleckte die Zähne. Zu einem breiten Grinsen? Natürlich war mir bekannt, dass der Hund der beste Freund des Menschen ist. Die Frage war nur, ob der finster dreinblickende Rottweiler das auch wusste. Ich beschloss, es lieber nicht darauf ankommen zu lassen und die potenzielle Gefahrenquelle weiträumig zu umlaufen, indem ich einen Haken über den Rasen schlug. Das kostete wertvolle Zeit und Puste. Ludgers Vorsprung war erneut gewachsen.
Die Fabel vom Hasen und dem Igel kam mir in den Sinn. Schnell, schnell, eine List musste her! Fieberhaft dachte ich nach. Ja, so müsste es
Weitere Kostenlose Bücher