Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
sie einfach an der Reling stehen. Mit wachsender Furcht sah sie zu, wie er die Kogge zum Anlegen bereit machte. Als sei er von jeglichen Sorgen befreit, testete er die Leinen und begann das Segel zu hissen. Sobald das nasse Tuch hochgezogen war, nahm es den scharfen Wind auf, und kurze Zeit später lenkte Braedon die Kogge durch den von Marschland gesäumten Kanal, der zu Calais’ Festungsmauern führte.
Ariana hielt sich von Braedon fern, als dieser anlegte. Er rief einem der Fischer auf dem Kai zu, dass das Segel in dem starken Sturm im oberen Bereich einen Riss bekommen habe, der schnellstmöglich genäht werden müsse. Der bärtige Franzose deutete auf ein niedriges Steinhaus am Hafen.
»Claude, der Segelmacher, ist für seine gute Arbeit bekannt, Monsieur. Für zehn Deniers ist Euer Segel wieder geflickt.«
»Und eine Unterkunft?«, fragte Braedon weiter. »Wo finden wir ein sauberes Zimmer und eine gute Mahlzeit?«
Diesmal wies der Mann auf ein hohes Fachwerkhaus in einer Häuserzeile. »In der Schenke ›The Wolf’s Head Inn‹. Ich führe Euch hin, wenn Ihr wollt. Das Haus gehört meinem Cousin. Er wird sich gut um Euch und Eure Dame kümmern.«
Braedon murmelte Worte des Dankes, warf Ariana einen auffordernden Blick zu und streckte ihr die Hand entgegen. »Eine Münze oder auch zwei für die Hilfe dieses Mannes, Mylady.«
Ariana runzelte die Stirn, was allerdings nicht mit dem Geld zusammenhing, das er von ihr verlangte. Ihr war schwindelig von den Gedanken daran, was sie erwarten würde, sobald sie beide an Land waren. Mit zittrigen Fingern griff sie in die Börse, holte ein paar kleinere Münzen hervor und gab sie Braedon.
»Ihr kommt aus England, nicht wahr?«, fragte der Fischer. Sein Blick huschte zu Ariana, ehe er wieder Braedon anschaute und das Geld mit einem Grinsen entgegennahm. »Der Ärmelkanal ist rau zu dieser Jahreszeit. Ihr könnt von Glück sagen, dass Ihr mit einem zerrissenen Segel davongekommen seid, Monsieur.«
»Ja, wir hatten Glück«, antwortete Braedon ungeduldig. Er nahm die Taue, warf sie auf den Pier und nahm den Lederbeutel, in dem er seine Verpflegung aufbewahrte. Nachdem er an Land gesprungen war, reichte er Ariana die Hand, um ihr beim Verlassen des Schiffs behilflich zu sein. »Bringt uns zur Schenke, s’il vous plaît «, sagte er zu dem Mann. Der kauzige Fischer ging voraus, um ihnen den Weg zu weisen.
Die Schenke »The Wolf’s Head Inn« war eins von vielen Gasthäusern, das im geschäftigen Hafenviertel von Calais warme Mahlzeiten servierte. Fischer, Kaufleute und jede Menge zerzauste Seeleute mit verschlagenem Blick füllten den großen Raum der Schenke.
Heilige Mutter Maria, ich habe noch einen weiten Weg vor mir – und zwar allein , dachte Ariana, als sie neben Braedon herging, der in diesem Moment den Wirt ansprach.
Sie wartete geduldig, während er eine Unterkunft für die Nacht aushandelte, überlegte währenddessen aber bereits fieberhaft, wie sie sich dem Gespräch, das er ihr angedroht hatte, entziehen konnte. Er würde sich mit keinen Ausflüchten mehr zufriedengeben, so viel stand fest. Vielmehr würde er sie so lange ausfragen, bis sie endlich nachgeben würde. Er war nicht der Mann, dem man etwas verweigerte, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Wie dumm es doch von ihr gewesen war, die Überfahrt mit ihm auszuhandeln! Sie hatte nur die Notwendigkeit gesehen, nach Rouen zu gelangen, doch jetzt fragte sie sich, ob sie dadurch nicht in eine weitaus gefährlichere Situation geraten war als die, die ihr Monsieur Ferrand in Aussicht gestellt hatte. Braedon hatte sie nach Frankreich gebracht, wie sie ihn gebeten hatte. Und jetzt, so hatte er ihr unmissverständlich dargelegt, beharrte er darauf, für seinen Aufwand angemessen entschädigt zu werden. Natürlich konnte Ariana seine Erwartungen nicht erfüllen, und kein Mann von Ehre würde sie zwingen, eine in Eile ausgesprochene Vereinbarung einzuhalten.
Ein Mann von Ehre, dachte sie mit Bedauern. Braedon hatte ihr bisher keinen Anlass zu der Vermutung gegeben, dass er die Regeln der Ritterlichkeit oder des vornehmen Betragens beachtete. Es war reines Wunschdenken zu glauben, dieser kampferfahrene Mann mit dem erbarmungslosen Schwertarm und dem wilden Aussehen würde eine wehrlose junge Frau verschonen. Und wenn sie auch noch daran dachte, dass sie so unbesonnen gewesen war, sich von ihm küssen zu lassen!
Als Braedon wieder vor ihr stand, zuckte Ariana unwillkürlich zusammen. Er
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