Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
kleiner, ungeduldiger Seufzer. »Ich bin mir der Gefahr bewusst, Braedon.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich begreife zwar nicht ganz, was mit uns geschieht, aber ich bin kein dummes Mädchen, das nicht eigenständig denken kann. Seit meiner Jugend treffe ich meine eigenen Entscheidungen. Ich hatte keine andere Wahl.« Sie schaute ihm in die Augen. Braedon lächelte, als er bemerkte, dass das, was er in ihrer Miene für Reue gehalten hatte, etwas ganz anderes war: Eine kaum wahrnehmbare, aber unerschütterliche Würde erhellte ihre Augen. »Ich sorge schon seit Jahren für mich und brauche auch jetzt niemanden, der mir vorschreibt, was ich zu tun und zu lassen habe. Wenn ich mich heute in Gefahr begeben habe, dann hatte ich dafür meine Gründe – es ging mir nicht darum, mich gegen Euch durchzusetzen.«
Er konnte dem Verlangen nicht widerstehen, ihr eine Strähne aus der Stirn zu streichen. Seine Hand verweilte auf ihrer Wange, und er verlor sich in dem Gefühl, ihre seidige Haut unter seinen rauen Fingerspitzen zu spüren. Sie sog hörbar Luft ein, und ihre Blicke begegneten sich.
»Ihr seid mir ein Rätsel, Ariana of Clairmont. Noch nie habe ich einen solchen Mut erlebt – weder bei einem Mann noch bei einer Frau.« Für einen Moment verlor er sich in ihren großen blauen Augen, ehe er die Hand widerwillig sinken ließ. »Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Euer heutiges Verhalten unüberlegt und nicht besonders klug war. Ich möchte das nicht noch einmal erleben, Ariana. Habe ich Euer Wort darauf?«
»Also gut«, entgegnete sie belustigt. »Das nächste Mal, wenn Ihr von einem Höllengeschöpf angegriffen werdet, das Euch in Stücke reißen will, lasse ich Euch gern mit der Bestie allein, darauf gebe ich Euch mein Wort.« Kopfschüttelnd schaute sie ihn an. »Was seid Ihr doch für ein eigenartiger Mann. Befolgen die Leute immer Eure Befehle?«
»Tun sie es nicht, Madame, so sterben sie.«
Sie schien seine Antwort lange auf sich wirken zu lassen, und Braedon begann sich zu fragen, ob er sie mit der nackten Wahrheit erschreckt hatte. Tatsächlich hätte sie ihn von vornherein nie begleiten dürfen. Braedon verfluchte die Schicksalswendung, die sie an jenem Tag in London zusammengeführt hatte. Es gab mehrere Gründe, jenen Tag zu verwünschen, aber keiner wog schwerer als die einfache Tatsache, dass er sich gegen seinen Willen immer stärker zu dieser Frau hingezogen fühlte. Sosehr er es auch leugnen wollte, er genoss es, in ihrer Nähe zu sein, und das allein bestürzte ihn mehr als die Vorstellung, dass er schon bald den Schatten seiner Vergangenheit gegenüberstehen würde. Eine Begegnung, die er womöglich mit dem Leben bezahlen musste.
»Wie lange seid Ihr schon allein, Braedon?«
Die Frage überraschte ihn. Er wich ein wenig zurück, die Stirn in Falten gelegt. »Allein?«
»Ihr habt Frankreich als junger Mann verlassen, aber Ihr wart schon davor allein, nicht wahr?« Als er sie mit zusammengepressten Lippen ansah, da er sich ihren bohrenden Fragen nur ungern stellte, schenkte sie ihm ein zartes, verständnisvolles Lächeln. »Ich weiß, was es heißt, allein zu sein. Ich kenne das Gefühl und sehe es anderen Menschen an, wenn sie sich einsam fühlen. Ihr seid einsam.«
Er gab einen unwirschen, beinahe spöttischen Laut von sich. »Es ist spät, Ariana. Ich habe nicht die Absicht, die nächsten Stunden damit zu verbringen, über meine Kindheit zu sprechen, wenn ich mich stattdessen ausruhen kann. Und auch Ihr habt Schlaf nötig.«
Er wollte sich gerade von ihr abwenden, als er ihre Finger auf seinem Arm spürte. »Eure Wunde hat sich wieder geöffnet. Lasst mich einen Blick darauf werfen.«
Leicht wie Federn ruhten Arianas schlanke Finger auf seinem Arm. Die sanfte Berührung ließ Braedon in seiner Bewegung innehalten. Er hätte sich von der Frau abwenden sollen. Gott allein wusste, dass er es wollte, doch stattdessen streckte er die Hand nach ihr aus und strich mit den Fingern über die samtweiche Haut ihrer Hand. Langsam schlossen sich seine Finger um die ihren und drückten sie leicht, da ihr Mitgefühl ihn rührte.
»Als ich sah, dass der Gestaltwandler sich auf Euch stürzen wollte, nachdem Ihr ihm den Dolch in die Seite gerammt hattet«, flüsterte er, während er seine Finger mit ihren verschränkte, »schwor ich mir, ihn in Stücke zu reißen. Wenn ich mir ausmale, was er Euch hätte antun … « Er stieß einen leisen Fluch aus und schüttelte den Kopf.
»Wann war Euch klar, dass
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