Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
mich, meine liebe Haven, wie lange der gute Clairmont Euch jagen musste, ehe er Euch fing.«
Haven rutschte ein wenig auf der Bettkante hin und her und spürte, dass Draec sie inzwischen aus verengten Augen beobachtete. Er versuchte, ihren Blick mit seinen durchbohrenden grünen Augen einzufangen, doch die Zauberwirkung der Kräuter hatte seine Pupillen bereits größer werden lassen.
Dennoch, er war ein großer Mann, ein gestandener Krieger, dessen gestählter Leib einem Übergriff dieser Art trotzen mochte. Blieb für Haven nur zu hoffen, dass er den Kräutern erlag, ehe er die Geduld verlor.
»Wenn ich es zuließ, gejagt und gefangen zu werden, so nur deshalb, weil ich dadurch näher an den Feind und dessen Geheimnisse herankam. Die Sterblichen übersehen bisweilen, dass Seide manchmal stärker sein kann als Stahl.« Haven schenkte Draec ein Lächeln, das ein wenig steif wirkte. »Aber wie Ihr selbst sagtet, was tun schon seine Beweggründe für die Suche nach dem Drachenkelch zur Sache? Jeder hat seine eigenen Gründe, die Macht zu erlangen, die der Schatz birgt. Kenrick of Clairmont ist da nicht anders als die übrigen Menschen.«
Le Nantres musterte sie unter halb geschlossenen Lidern, doch sein Geist war immer noch wach. »Wenn ich es nicht besser wüsste, meine Gestaltwandlerin, dann würde ich denken, dass eine Spur Wehmut in Euren Worten mitschwingt. Ich dachte, die Bewohner aus Anavrin seien unempfänglich für die Gefühle der Sterblichen.«
Haven reckte ihr Kinn empor und sprach in überheblichem Tonfall: »Ich fühle nichts als Verachtung für Clairmont, der mich nicht viel besser als eine Gefangene in seiner Burg gehalten hat.«
»Eine Gefangene, angetan mit schönen Seidengewändern und funkelnden Juwelen«, sagte Draec gedehnt, in Anspielung auf ihre Begegnung auf dem Markt.
»Da wussten sie nicht, wer ich bin.«
»Und jetzt wissen sie es?«
»Ja.«
»Ich bin überrascht, dass Clairmont und mein alter Freund Braedon Euch nicht auf der Stelle getötet haben. Doch das werden sie nachholen wollen, sobald sie erfahren, dass Ihr Euch mit mir verbündet habt.«
»Ein Grund mehr für uns, unser Bündnis unverzüglich in die Tat umzusetzen«, erwiderte Haven. »Ich gehöre nicht in die Welt der Sterblichen. Ich werde erst in Sicherheit sein, wenn ich wieder in Anavrin bin.«
»Und dort werdet Ihr schon bald sein, meine Schöne. Sobald der Drachenkelch mir gehört.« Draec führte sein Glas an die Lippen und leerte es in einem Zug. Ein wenig unbeholfen stellte er es neben das Bett auf den Boden und lehnte sich dann auf der Matratze zurück, gestützt auf die Ellbogen. »Sagt mir, was Ihr sonst noch über Kenrick of Clairmont und seine Suche nach dem Schatz wisst.«
»Er glaubt zu wissen, wo sich ein weiterer Stein des Kelches befindet.«
»Und wo?«, fragte Draec und machte keinen Hehl daraus, wie gespannt er auf die Antwort war. »Hat er Euch das Versteck verraten?«
»Nein. Aber ich habe seine Aufzeichnungen gesehen, und daher weiß ich, auf welchen Ort er sein Augenmerk richtet.«
»Sagt es mir. Verflucht, nennt mir den Ort!«
»Land’s End«, sagte sie schließlich nach kurzem Zögern und hoffte, er möge diese Lüge ebenso schlucken wie den Wein, der mit Kräutern versetzt war. Wenn er ihr glaubte und sie in ihrem Vorhaben an diesem Abend scheitern sollte, dann hatte sie le Nantres zumindest zu einem Ort geschickt, der besonders weit von Kenricks wahrem Ziel entfernt lag. »Oben auf dem Klippenvorsprung steht eine kleine Kirche. Clairmont hat vor, genau dort nach einem der Kelchsteine zu suchen.«
»Ist das die Wahrheit?«
»Ich schwöre es bei meinem Leben«, gelobte Haven, bereit, die Folgen für ihren kühnen Vorstoß selbst zu tragen. »Aber auch wenn seine Schlussfolgerungen stimmen, wird er den Stein nicht finden, fehlt ihm doch ein sehr wertvolles Stück in diesem großen Rätsel. Und diesen Gegenstand tragt Ihr bei Euch.«
»Das ist wahr.« Draecs dunkles Lachen kam aus tiefster Kehle. Er wähnte sich den anderen überlegen, und das schien ihn mit einer diebischen Freude zu erfüllen. »Ja, ich habe das Siegel, und jetzt weiß ich auch, wofür ich es brauche. Seht Ihr, Haven, wie hervorragend wir uns ergänzen?«
Sie erwiderte sein verschwörerisches Lächeln, doch um ihre Mundwinkel spielte ein berechnender Zug, der ihm entging. »Dann zeigt mir diesen Schlüssel.«
»Warum denkt Ihr, dass ich das Siegel bei mir habe?«
Jetzt gab Haven ein Lachen von sich. »Nie würdet
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