Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
Ihr es jemand anderem anvertrauen, und Ihr würdet es auch keinen Moment aus den Augen lassen, da Ihr damit rechnen müsst, dass es Euch jemand stehlen könnte. Zeigt es mir also.«
»Vielleicht später«, sagte er und streckte sich beinahe faul auf dem Bett aus. Sie wollte aufstehen, doch sein Arm schnellte nach vorn, und er packte sie beim Handgelenk. Sein Griff war spielerisch und doch fordernd. »Kommt zu mir, Haven. Ihr verzaubert mich schon den ganzen Abend mit diesem Gewand. Und Geduld war nie eine meiner Stärken.«
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so rasch dazu kommen würde, ließ sich aber von Draec auf das Bett ziehen. Als sie sich neben ihn legte und ihm das Gesicht zuwandte, löste sie heimlich mit geschickten Fingern die seidene Kordel, die ihr Gewand zusammenhielt. Ohne dass er etwas merkte, verbarg sie das lange Band hinter ihrem Rücken, wobei sie die ganze Zeit über den Blick nicht von le Nantres’ grünen Augen wandte.
»Ist es so nicht viel besser?«, fragte er, als sie neben ihm lag.
»Ja, so ist es … angenehm.«
Sein leises Lachen war zugleich verschlagen und bedrohlich. »Ich bin kein Narr, und Ihr seid keine gute Lügnerin.«
Furcht erfasste sie und musste sich für einen Moment auf ihrem Gesicht gezeigt haben, denn Draecs Finger schlossen sich plötzlich fester um ihr Handgelenk. »Was für ein Spiel treibt Ihr mit mir?«
»Ich treibe kein … «
Er riss ihren Arm hoch und drückte sie mit dem Gewicht seines Körpers auf die Matratze. »Doch, Haven, und ich mag es gar nicht, wenn man … ahh!«
Ein Schauer durchlief seinen Körper und schoss hinab in seinen Arm. Er kniff die Augen zusammen, und als er sie wieder öffnete, schien er nicht mehr klar sehen zu können. »Verflucht … was ist das?«
Gegen seinen Willen ließ er ihr Handgelenk los, rieb sich die Augen und presste sich die Hände an die Schläfen. Er stöhnte vor Schmerz, während sich sein Gesicht zu einer Grimasse verzog.
»Ihr solltet Euch lieber hinlegen«, riet ihm Haven und rückte rasch weiter von ihm ab.
Schwer fiel er auf das Bett zurück, die Stirn schweißfeucht. »Dieses Ohrensausen … mein Mund ist ganz … trocken.« Mühsam fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. »Verflucht, ich brauche was zu trinken.«
»Nein«, sagte Haven und drückte ihn wieder auf die Matratze, als er sich aufzurichten versuchte. »Ihr hattet schon genug Wein. Legt Euch jetzt hin und entspannt Euch.«
Haven glaubte, den Zauber nun nicht länger aufrechterhalten zu müssen, und löste sich von dem verführerischen Gewand. Plötzlich stand sie in ihrem alten schlichten Rock und den flachen Schuhen vor dem Bett.
»Was habt Ihr … mit mir gemacht?«, krächzte le Nantres. Er schüttelte den Kopf, zog die Stirn in Falten und schaute dann blinzelnd zu ihr auf, während er allmählich begriff. »Du Hexe!«, zischte er durch die zusammengebissenen Zähne hindurch. »Du hast … mich … betäubt.«
Haven sagte nichts und beeilte sich, ihn zu fesseln, solange die Kräuter ihre Wirkung taten. Mit dem gewundenen Gürtel in der Hand eilte sie zu Draecs rechter Seite. Er leistete kaum Widerstand, als sie seine Hand packte und an einen der vier Bettpfosten band. Da die seidene Kordel lang genug war, fesselte sie auch seine andere Hand auf diese Weise.
Sofort begann Draec, an den notdürftigen Fesseln zu zerren, sodass das ganze Bett wackelte, doch die Bande hielten … vorerst.
»Mach mich los … verflucht! Lass mich … !«
Zufrieden mit ihrem Werk, betrachtete Haven Draecs lang ausgestreckten Körper, der in dem Bett geradezu riesig wirkte. Das Emblem mit dem fauchenden Drachen auf seiner Tunika schien zu ihr heraufzustieren, die Augen waren glasig und von demselben Zorn erfüllt, der in dem dunklen Ritter loderte. Le Nantres gab ein wütendes Grollen von sich, aber er konnte nicht viel ausrichten, da sich die berauschende Wirkung der Kräuter erst jetzt ganz entfaltete.
»Ich denke, Ihr solltet Euch eine Weile ausruhen, Sir Draec.«
»Nein … verflucht seist du!« Erneut begehrte er gegen die Fesseln auf, doch damit vergeudete er nur seine Kraft.
»Die Kräuter, die ich in Euren Wein und Eure Speisen getan habe, werden Euch nicht töten, aber Ihr werdet in einen tiefen Schlaf fallen. Und Euer Kopf wird morgen früh schmerzen.«
»Kann nicht schlafen … das Tier … es wird mich verschlingen … « Er warf den Kopf hin und her und kämpfte gegen unsichtbare Dämonen. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn.
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