Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
den Weg gemacht, um zu verhindern, dass der Drachenkelch in de Mortaines Hände fiel. Jahrelang hatte sich Kenrick mit der Legende des Schatzes und dessen mystischem Ursprung beschäftigt und Rand ein geheimes Siegel anvertraut – den Schlüssel zu einem verborgenen Gewölbe, in dem einer der Kelchsteine lag. Rand hatte dieses Siegel in Greycliff Castle versteckt. Als die Gestaltwandler mit Feuer und Schwert über seinen Burgfried herfielen, suchten sie nach genau diesem kostbaren Stück Metall. Und sie fanden es, allerdings erst, als Rands Frau und Kind bereits in ihrem Blut lagen. Nachdem sie ihn bewusstlos geschlagen hatten und einfach liegen ließen, auf dass er neben den Seinen sein Leben aushauche.
Er wünschte, er hätte mit ihnen sterben dürfen. Könnte er doch alles ungeschehen machen – jene höllischen Stunden und den wertlosen Schwur, seine Familie immer zu schützen. Er hatte sie entsetzlich im Stich gelassen. Er, der kampferprobte, geübte Ritter, der nie auf einem Schlachtfeld bezwungen worden war, war im entscheidenden Moment nicht in der Lage gewesen, seine wehrlose Frau und seinen kleinen Sohn zu schützen.
Mit einem Mal war er mit seinen Gedanken wieder bei Serena.
Sie musste schon eine ganze Weile fort sein.
Zu lange, warnte ihn eine innere Stimme.
Von dem Waldpfad drangen keine Geräusche zu ihm herüber, kein knackender Zweig, der ihm verraten hätte, dass Serena wieder zur Hütte zurückkehrte. Nur Stille, leise untermalt von dem Rauschen der See. Diese Stille behagte Rand nicht.
Bei Gott, wenn nun die Jäger aus Egremont zurückgekehrt waren – oder schlimmer sogar …
Eine quälende Unruhe erfasste ihn. Lautlos sprang Rand von dem Baumstamm und ließ den Blick durch den Wald streifen. Doch er sah und hörte nichts.
Das anschwellende Pochen seines eigenen Pulsschlags dröhnte ihm in den Ohren, wenn er an Serena dachte, die sich allein im finsteren Wald befand und vollkommen wehrlos war, falls ihr Unheil drohte.
»Verflucht«, entfuhr es ihm, während er auf den Pfad zuhielt, den sie genommen hatte, vorbei an den Kiefern, Eichen und Eschen.
Er lief tiefer in den Wald hinein, zunächst darauf bedacht, möglichst keinen Laut zu machen. Aber dann verspürte er den Drang, Serenas Namen zu rufen, um herauszufinden, wo sie war und wie es ihr ging. Kiefernnadeln knackten unter seinen Stiefelsohlen, als er durch die Dunkelheit eilte. Der Nebel behinderte die Sicht und entführte Rand unweigerlich in jene Nacht, als ihm nicht Nebel, sondern schwarzer Rauch die Sicht raubte … während er sich gegen die Eindringlinge warf, die Schreckensschreie seiner Frau im Ohr.
Nun brachen all diese Augenblicke größter Furcht erneut in ihm auf. Böse Erinnerungen drängten ihn weiter, als müsse er die Schrecken erneut durchleben.
»Elspeth!«
Wie von Ferne vernahm er ihren Namen, zwei leise Silben, beinahe wie ein Gebet gehaucht. Es war seine eigene Stimme, sein eigener Atem, den er in nutzlosem Zorn ausstieß, während er an den dunklen Baumstämmen vorbeilief. Er war allein auf dem Pfad; sie war nicht hier entlanggegangen. Nun verließ er den schmalen Weg und stürmte blindlings durch das Dickicht. Der Nebel umfing seine Fußknöchel, weiße Schwaden, die zu ihm aufwirbelten und nach ihm griffen. Verlor er nun den Verstand?
Wieder rief er ihren Namen, und diesmal bekam er eine Antwort – schwach, aus der Ferne, überlagert von einem donnernden Rauschen, das tief aus dem Wald zu ihm herüberschallte.
»Rand? … Ist da jemand?«
Dies konnte doch alles nicht wahr sein – sogar noch in dem Schreck, der ihm in die Glieder fuhr, wusste er das. Vor ihm stiegen keine Rauchschwaden empor, sondern ein harmloser Nebel, der vom Meer kam; seine Arme schabten nicht über die rußgeschwärzten Mauern seines Wohnturms, sondern über die raue Borke der hohen, uralten Bäume. Und nicht Elspeths Stimme rief nach ihm, sondern jemand anders.
Nun begann sich alles in seinem Kopf zu drehen, doch er rannte noch schneller und wich den Hindernissen aus, die ihm der Wald in den Weg legte. Das Rauschen des Wassers wurde lauter, und in seiner Anspannung glaubte Rand, tiefe, kehlige Tierlaute und ein hämisches Gelächter zu hören. Er hielt geradewegs auf die Geräusche zu, sprang über einen großen Felsblock und schlug die Äste und Zweige zur Seite, die sich wie Krallen in ihn bohren wollten.
»Elspeth!«, rief er wieder und betete zu Gott, dass es ihr gut ginge und er bei ihr sein könnte, ehe die Schurken ihr
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