Der Keller
Arme vor der Brust verschränkt.
Mit finsterer Miene musterte sie den fotografierenden Mann.
Owen würdigte sie keines Blickes.
Er fragte sich, ob er Station eins nicht überspringen sollte. Schließlich hatte er das gestern schon alles gehört.
Aber wenn ich nicht stehen bleibe, denkt sie, ich hätte mich vertan und wird mich auf meinen Fehler hinweisen.
Außerdem wollte Owen noch einmal ganz von vorne anfangen. Ohne die ständig quengelnde, nervtötende Monica an seiner Seite würde er sich ganz auf die Führung konzentrieren und sie vielleicht sogar genießen können.
Er blieb vor der Treppe stehen und wollte gerade den Startknopf drücken, als der Dicke ihn ansprach.
»Hey, Kumpel!«
Owen hob die Augenbrauen und deutete auf sich.
»Ja, Sie. Können Sie mir einen großen Gefallen tun?«
Die Angestellte auf der Veranda stieß sich von dem Pfeiler ab und stellte sich aufrecht hin.
»Können Sie mal ein Foto von mir und dem armen Gus hier machen? Okay? Geht das?«
»Kein Problem.«
Der Kerl eilte lächelnd auf ihn zu und hielt ihm die Kamera hin.
Owen nahm sie entgegen.
»Ist alles automatisch. Einfach nur hier draufdrücken.«
»Geht klar.«
Der Dicke stellte sich neben die baumelnden Beine, legte einen Arm darum und grinste.
»Fertig?«, fragte Owen.
»Einen Moment.« Er wandte sich zu der Frau auf der Veranda um. »Kommen Sie auch mit aufs Foto?«
»Ich weiß nicht, ob Sie das wirklich wollen.«
»Aber klar! Machen Sie Witze?«
»Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Ich heiße John. John Cromwell.«
»Freut mich, John«, sagte sie und drehte sich zu Owen um. »Und Sie sind …?«
»Owen.«
»Hi, Owen.«
»Hi.«
»Ich bin Lynn.«
»Jetzt kennen wir uns ja alle«, sagte John. »Also kommen Sie rüber und lassen Sie ein Bild von sich machen.«
»Wenn Sie meinen …«
»Los doch.«
Sie ging zu ihm. »Aber schnell«, sagte sie. »Damit wir den anderen nicht im Weg stehen.«
Owen warf einen Blick über die Schulter. Eine fünfköpfige Familie schlenderte auf sie zu. Die Kinder wirkten außerordentlich wohlerzogen.
Als er seine Aufmerksamkeit wieder der Veranda zuwandte, bemerkte er, dass John zwischen Lynn und der Wachsfigur des Gehenkten stand - und die Arme um beide gelegt hatte.
Lynn schien ebenfalls einen Arm um John gelegt zu haben.
Mann! Wie hat er das denn geschafft?
»Los geht’s«, sagte Lynn.
Er machte das Foto.
»Noch eins, nur für den Fall«, sagte John und drückte Lynn fest an sich. Sie kreischte lachend auf, und Owen machte das zweite Bild. Dann entwand Lynn sich dem Mann und gab ihm einen Klaps auf dem Hintern.
»Noch mal«, sagte er. »Bitte.«
»Das reicht, Johnny-Boy«, sagte sie lachend.
Owen ging auf die Veranda, um John die Kamera zurückzugeben.
»Danke, Kumpel«, sagte John.
»Kein Problem.«
Lynn warf einen Blick auf Owens Brust. »Aha! Sie nehmen an der Mitternachtsführung teil?«
Er errötete. »Ja. Ich kann’s kaum erwarten.«
»Morgen Nacht?«, fragte sie.
»Genau.«
»Dann sehen wir uns ja. Ich werde die Führung leiten.«
»Wirklich? Toll.«
Sie wandte sich an John. »Kommen Sie auch mit?«
Der Dicke öffnete den Mund und starrte sie an. »Sie werden die Führung leiten?«, fragte er.
»Das ist mein Job. Und meine Führung. Ich hab sie mir ausgedacht.«
»Wow«, sagte John beeindruckt.
»Also, kann ich mit Ihnen rechnen?«
»Ich … also … ich würde ja gerne. Aber sie kostet so um die hundert Dollar, nicht wahr?«
»Exakt hundert Dollar.«
Er verzog das Gesicht. »Das ist viel Geld.«
»Aber jeden Cent wert.«
»Das glaube ich gern«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Mal sehen.«
»Also, ich hoffe, Sie entscheiden sich dafür. Ich glaube, es sind noch Plätze frei.«
»Ich bin Nummer neun«, sagte Owen.
»Von dreizehn«, sagte Lynn und klopfte John auf den Rücken. »Sie müssen sich schnell entscheiden.« »Vielleicht komme ich ja mit«, sagte er.
»Ich muss los«, sagte Lynn. »Bis später, Owen. Bis später, John. Ich hoffe, ich sehe Sie beide morgen Abend.« »Wiedersehen«, rief ihr Owen hinterher. »Bis bald«, sagte John.
Lynn ging um die Besuchergruppe an Station eins vorbei. »Rattenscharf, oder?«, sagte John. »Ja«, entgegnete Owen und reichte ihm die Kamera. »Die würde ich nicht von der Bettkante schubsen, wenn Sie verstehen, was ich meine.« »Klar.«
»Mann, ich muss bei dieser Mitternachtsführung dabei sein.« »Ja, ich freue mich auch schon darauf.« »Aber dafür fehlen mir hundert Dollar.«
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