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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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kehrten
die Gedanken zurück, und mit ihnen die Engel der Wirklichkeit, um die
Hirngespinste zu vertreiben. Nein, nicht Chiara hatte an seinem Bett gesessen,
sondern seine Mutter – wie immer, wenn er aufwachte und bei Bewusstsein war.
    Wie lange hatte das Fieber schon Gewalt über ihn? Tage? Wochen?
Teofilo zermarterte sich das Gehirn, aber er wusste es nicht. Die Zeit hatte
sich aufgelöst, nur dunkel gaukelnde Bilder tauchten aus seiner Seele auf,
Höllenfahrten der Erinnerung, Träume und Albträume, die er nicht voneinander
unterscheiden konnte … Er war in seiner Kirche zusammengebrochen, vor dem Altar
des Gekreuzigten, mit einem wirren Gebet auf den Lippen … Über ihm ein Kreis
von Gesichtern, Petrus da Silva, Kardinäle, Bischöfe, Priester, die ihn voller
Entsetzen anstarrten … Ärzte und Zauberer, die ihm Blutegel ansetzten und ihn
zur Ader ließen oder mit irgendwelchen Ölen einbalsamierten und dabei
unverständliche Beschwörungen flüsterten … Diakone, die ihn auf einen Karren
verfrachteten und aus Rom fortschafften, hinauf in die Berge, immer höher und
höher hinauf, bis in den Himmel …
    Mit blöden Augen schaute das Lamm Gottes auf Teofilo herab. Sein
Hemd war schweißnass, und in ihm wütete eine Hitze, als würde er im Fegefeuer
brennen. Er brauchte Luft, frische Luft! Mühsam erhob er sich von seinem Lager,
und gestützt auf Stuhllehnen und Tischkanten, wankte er durch die Kammer, um
ein Fenster zu öffnen. Doch auch die kühle Abendluft verschaffte ihm keine
Linderung. Wie Kobolde tanzten die Worte seiner Mutter in seinem Schädel …
Bete, mein Sohn, bete … Damit du dieses Weib vergisst, in der Liebe Gottes …
Eine Träne im Ozean …
    Ihm wurde schwindlig, er musste zurück ins Bett. Doch als er sich
vom Fenster abwandte, wich er zurück. Vor ihm stand eine schwarz vermummte
Gestalt. War der Leibhaftige gekommen, um ihn zu holen? Als die Gestalt ihre
Kapuze zurückschlug, sah er ein weiches, milde lächelndes Gesicht: Abt
Bartolomeo.
    Â»Chiara di Sasso schickt mich. Mit einer Botschaft für Euch.«
    Â»Chiara?«, fragte Teofilo. »Was … was ist ihre Nachricht?«
    Bartolomeo räusperte sich. Dann sagte er: »Sie weigert sich, dem
Wunsch ihres Vaters zu gehorchen und mit Euch in den Stand der Ehe zu treten.
Sie hat sich stattdessen entschlossen, den Schleier zu nehmen und ins Kloster
einzutreten, um fortan ihr Leben ganz in den Dienst des Herrn zu stellen.«
    Teofilo griff nach der Fensterbank.
    Â»Hasst sie mich so sehr?«
    Nur flüsternd brachte er die Worte über die Lippen.
    Bartolomeo musterte ihn, als würde er in seinem Gesicht die Antwort
suchen. »Vielleicht ist es Hass«, sagte er schließlich, »vielleicht ist es
Liebe. Manchmal kann man beides nicht unterscheiden.«
    Teofilo schloss die Augen. Warum hatte Gott diese Liebe in sein Herz
gesenkt?
    Plötzlich begann er zu zittern, die Kräfte verließen ihn, und
während er auf einen Stuhl sank, brach es aus ihm hervor, wie aus einen Kind,
seine ganze Angst, seine ganze Verzweiflung. Wie Sturzbäche rannen die Tränen
an seinen Wangen herab, und ein Schluchzen erfasste ihn, das seinen ganzen Leib
schüttelte.
    Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte und weinte, die
Hände vor dem Gesicht, als Bartolomeo sein Schweigen brach.
    Â»Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr mich Eure Tränen freuen.
Voller Zweifel bin ich gekommen, doch nun sind die Zweifel der Zuversicht
gewichen.«
    Â»Zuversicht?«
    Teofilo ließ die Hände vom Gesicht sinken und hob den Blick.
    Bartolomeo strahlte. Wie erfüllt von einem Glück, das er selbst
nicht fassen konnte, ergriff er Teofilos Hand.
    Â»Seid Ihr bereit, allem irdischen Besitz zu entsagen?«, fragte er.
»Genauso wie Eurer Macht? Allein um der Hoffnung willen? Der Hoffnung auf
Gottes Gnade und Liebe?«
    10
    Petrus da Silva hatte zu großen Respekt vor dem Heiligen Geist,
um an Wunder zu glauben. Der Heilige Geist war kein Gaukler auf einer
Kirchweih, der durch Zauberkunststücke sein Publikum verblüffte, der Heilige
Geist wirkte durch die Kraft der Vernunft, an der er die Menschen teilhaben
ließ, um den Fortgang der Schöpfung zu lenken. Doch angesichts der wundersamen
Genesung, mit der Papst Benedikt sich in nur wenigen Tagen von dem Zusammenbruch
erholte, der ihn wochenlang ans Bett gefesselt

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