Der Kinderpapst
einen Prozess
verwirkt. Ich schlage darum vor, das Verfahren gegen ihn in
absentia zu führen.«
»Das würde ich nur sehr ungern tun«, antwortete Heinrich. »In einem
so heiklen Fall kommt alles auf ein ordentliches Verfahren an, und dazu gehört
die Anwesenheit der drei betroffenen Parteien. Die Absetzung eines Papstes,
selbst wenn dies durch den künftigen Kaiser und eine Synode geschieht, ist so
schon fraglich genug. Ohne ordentliches Verfahren werden sich sofort Stimmen
erheben, um unser Urteil anzufechten.«
»Wenn Majestät erlauben â unerhörte Zustände erfordern unerhörte
MaÃnahmen. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.«
»Wollt Ihr meiner Eitelkeit schmeicheln? Da müsst Ihr Euch einen
anderen suchen.«
»Ein solcher Gedanke sei mir fern«, antwortete Petrus da Silva, der
in der Tat gehofft hatte, dass der Appell an die Ehre bei Heinrich verfangen
würde. Doch er hatte noch einen zweiten Trumpf in der Hand. »Ich möchte nur
daran erinnern«, fügte er also hinzu, »dass die Zeit drängt. Der Dezember ist
bereits angebrochen, und ich bin sicher, es ist der innigste Wunsch Eurer
Gemahlin, dass Eure Majestät am ersten Weihnachtstag zum Kaiser gekrönt wird.
SchlieÃlich ist die Königin am selben Tag geboren wie der Gottessohn.«
Heinrich runzelte die Stirn. »Was seid Ihr für ein Mensch, Petrus da
Silva?«, fragte er.
»Nur ein unwürdiger Diener der heiligen Kirche.«
»Seid Ihr da nicht ein wenig zu bescheiden?«
»Mein einziger Ehrgeiz ist es, meinen Ehrgeiz zu überwinden.«
Eine Weile schauten die beiden Männer sich an. Hoffnung keimte in
Petrus da Silva auf. Ja, dieser junge Herrscher war wirklich ein Nachfolger
König Davids. Würde sich durch ihn das Goldene Zeitalter erneuern?
Heinrich nickte. »Nun gut, Ihr habt Recht, die Zeit drängt«, erklärte
er. »Wir wollen dieses unwürdige Gezänk so schnell wie möglich beenden. Aber
bevor wir mit der Verhandlung beginnen, lasst uns zu Gott beten, dass er
Benedikt rechtzeitig zu uns schickt. Damit wir nicht genötigt sind, unser
Urteil ohne ihn zu fällen.«
10
Chiara küsste ihr Kind auf die Stirn, dann legte sie den
Säugling vorsichtig in den Arm ihres Vaters. Obwohl es in der Burgkapelle so
kalt war wie sonst erst zu Mariä Lichtmess, schlummerte ihr Sohn in dem weiÃen
Daunenkissen so wohlig und friedlich vor sich hin, als könne nichts auf der
Welt ihm etwas anhaben. Damit er sich bei der Tauffeier nicht erkältete, hatte
Chiara ihn so dick eingepackt, dass von seinem rosafarbenen Gesichtchen kaum
mehr als die Nasenspitze hervorschaute, als Don Abbondio, der alte Dorfpfarrer,
sich an die drei Paten wandte â Girardo di Sasso, Anna und Antonio â, damit sie
im Namen des Täuflings auf seine Fragen antworteten.
»Entsagt ihr dem Satan, all seiner Pracht und Verführung, jeder
Macht des Trugs und der bösen Eingebung, um würdig zu werden des heiligen
christlichen Namens?«
»Wir entsagen.«
Chiara sprach leise die Worte mit. Sie war im Zelt eines Zahnbrechers
niedergekommen, fremde Menschen hatten sie hineingetragen, noch bevor die
Hebamme eingetroffen war, damit sie nicht im Freien entbinden musste. Nach der
Geburt hatte sie ein starkes Fieber befallen. Mehrere Wochen lang war sie so
geschwächt gewesen, dass sie nicht das Bett hatte verlassen dürfen. Don Abbondio
hatte immer wieder darauf gedrängt, die Taufe ohne die Mutter vorzunehmen: ein
Kind, das ungetauft mit der Erbsünde starb, sei zu ewiger Höllenqual verdammt.
Doch Chiara hatte sich seinem Drängen verweigert. Ihr Kind stand unter dem
Schutz Gottes, es war ein Geschenk, mit dem der Himmel ihre Liebe zu Domenico
gesegnet hatte, das Band, das sie für immer mit ihrem Mann vereinte, über
seinen Tod hinaus.
»Allmächtiger ewiger Gott, der du nach deiner groÃen Barmherzigkeit
in der Sintflut Noah und sein Haus in der Arche gerettet hast vom Untergang
durch das Wasser; der du die Kinder Israels durch das Schilfmeer geführt hast
zum Vorbild einer heiligen Taufe; der du auch durch die Taufe deines geliebten
Sohnes Jesus Christus im Jordan das Wasser geheiligt hast zur geheimen Abwaschung
der Sünden â wir bitten dich, um deines groÃen Erbarmens willen, schaue gnädig
herab auf das Kind, welches wir zu deiner Ehre gesalbt haben, und gewähre, dass
es
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