Der Kinderpapst
stockte,
setzte wieder an, redete stammelnd weiter, doch ohne ein vernünftiges Wort
hervorzubringen.
Als er endgültig verstummte, herrschte in dem Gotteshaus tödliches
Schweigen. Petrus da Silva spürte, wie ihm der Mund austrocknete. Vorsichtig
schielte er zu Heinrich hinüber. Als er die Miene des Königs sah, wurde er
blass.
» Sancta simplicitas «, sagte Heinrich.
»Wart Ihr wirklich so einfältig zu glauben, Ihr könntet mit Bösem das Böse
aufwiegen? Eine Sünde durch eine andere Sünde wiedergutmachen?« Er atmete tief
durch. »Nun«, sagte er dann, »ich hege keinen Zweifel an der Lauterkeit Eurer
Absichten, aber welcher Teufel Euch auch geblendet hat, ich werde mich nicht
von einem simonistischen Papst zum Kaiser krönen lassen.« Traurig schüttelte er
den Kopf. »Wehe Eurer Seele! Es wäre besser für Euch gewesen, auf Erden weiter
in Armut zu leben, damit Ihr in Ewigkeit reich seid, als Euch auf Erden zu
erhöhen, das ewige Leben aber zu verlieren.«
Mit Tränen in den halbblinden Augen schaute Giovanni Graziano sich
um. Doch wohin er auch blickte, überall waren steinerne Gesichter auf ihn
gerichtet.
»Ratet mir, was ich tun soll«, bat er mit brüchiger Stimme.
»Wisst Ihr das nicht selber?«, erwiderte Heinrich.
Petrus da Silva wusste, wenn er jetzt nicht handelte, war die
Cathedra verloren. Aber was konnte er tun? Nur eine Lösung fiel ihm ein: Er
musste den König selber in die Schranken weisen.
»Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf?«
»Schon wieder?«, fragte Heinrich. »Nun gut, sprecht!«
Als Petrus da Silva den zornigen Blick des Königs sah, zuckte er
zusammen. Vielleicht würde er mit dem, was er zu sagen hatte, sein eigenes
Todesurteil sprechen. Aber sein Zögern dauerte nur einen Atemzug.
»Es ist eine Bemerkung zum Verfahren selbst«, sagte er mit fester
Stimme. »Dieser Mann hier vor uns ist der Papst, der Stellvertreter Gottes, und
niemand, nicht einmal Ihr, der König und künftige Kaiser, ist befugt, ihn zu
verurteilen, solange er die Insignien seines Amtes trägt. Weil keine irdische
Macht über einen geistlichen Würdenträger richten darf.«
Petrus da Silva erwartete einen Wutausbruch. Doch stattdessen nickte
Heinrich ihm zu.
»Ich schätze Euren Mut«, sagte er. »Aber Euer Hinweis ist nicht
nötig. Ich bin mir der Grenzen meiner Macht bewusst und würde sie nie
überschreiten. Ja, Ihr habt Recht, nur ein einziger Mensch kann über den Papst
richten, und das ist der Papst selbst.« Bei den letzten Worten wandte er sich
wieder an Giovanni Graziano. »Wie lautet Euer Urteil, Heiliger Vater?«
Dieser faltete seine knochigen Hände und flüsterte ein Gebet. Dann
kniete er nieder, das Gesicht auf den Altar mit dem Bildnis des gekreuzigten
Heilands gerichtet, und während die versammelten Bischöfe jede seiner
Bewegungen voller Anspannung verfolgten, schlug er das Kreuzzeichen, nahm die
Tiara vom Kopf und legte sie dem König zu FüÃen.
»Wer sich in die Welt begibt, verstrickt sich in Sünde und Schuld.
Ich bin nicht würdig, Gottes Stellvertreter zu sein.« Auf den Knien wandte er
sich zu seinen Brüdern herum und verbeugte sich so tief vor ihnen, dass er mit
dem Gesicht den Boden berührte. »Demütig und in Erkenntnis meiner Schuld, die
ich, geblendet von der Macht des Bösen, auf mich geladen habe, bitte ich Euch
um Verzeihung.«
Ãberwältigt von der Ungeheuerlichkeit des Augenblicks, füllten
Petrus da Silvas Augen sich mit Tränen. Giovanni Graziano erhob sich vom Boden
und begann wortlos die Gewänder abzulegen, die ihn als Papst gekennzeichnet
hatten, das Schultertuch und die Handschuhe und die Manipel, die goldene Casula
und die rote Dalmatika.
»Ich bitte Euch, nehmt meinen Rücktritt an.«
»Was immer Euch gefällt«, erwiderte Heinrich, »Eure Bitte sei Euch
gewährt.«
»Dann bin ich wieder Gottes einfacher Diener«, sagte Giovanni
Graziano, »und Ihr habt die Macht, über mich zu richten. Wie lautet Euer
Spruch?«
Heinrich dachte einen Moment nach. Dann sagte er: »Um jede weitere
Streitigkeit um die Cathedra zu vermeiden, verbannen wir Euch aus der Stadt Rom
und schicken Euch nach Köln, wo Ihr bis ans Ende Eurer Tage der Aufsicht des
dortigen Erzbischofs unterstellt bleibt.«
»Ich danke Euch für Eure Milde«, sagte Giovanni
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