Der Kinderpapst
führte mit einer Zange die gläserne, mit rotem
Wein gefüllte Phiole über die Flamme einer armdicken Osterkerze. »Das ist der
Kelch meines Blutes, des Neuen und ewigen Bundes, Geheimnis des Glaubens, das
für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.«
Mit leisem Blubbern warf der Wein in dem Glaskolben Blasen.
Vorsichtig bewegte Teofilo die Zange über dem Feuer hin und her, um die
Zähigkeit der sich allmählich eindickenden Flüssigkeit zu prüfen. Sollte das
Experiment endlich gelingen? Nachdem er mit seinem Versuch, das Konsistorium
zur Umkehr zu bewegen, so kläglich gescheitert war, hatte er in den Kellern des
Lateranpalasts ein Laboratorium eingerichtet, in dem er bei Tag und Nacht daran
arbeitete, das Geheimnis der Wandlung zu ergründen. Wenn der Heilige Geist ihn
im Streit mit seinen Kardinälen im Stich gelassen hatte, war es vielleicht gar
nicht Gottes Wille, dass er durch Ausübung irdischer Herrschaft sein Amt
erfüllte. Vielleicht war es ja seine Bestimmung, sich den Mysterien des
Glaubens zu widmen und Antwort auf jene Fragen zu finden, die er schon seinem
Lehrer und Paten in den Tagen seiner Kindheit gestellt hatte? Wenn Gott jedem
seiner Priester die Macht gab, das Wunder der Wandlung zu wirken, dann musste
er seinem ersten und obersten Diener doch offenbaren, wie dieses Wunder
geschah! Wozu hatte er sonst das Opfer seiner Liebe verlangt?
»Wenn Eure Heiligkeit dies bitte unterschreiben würden?«
Der Odem von faulen Zähnen und frisch zerkautem Pfefferminz wehte
Teofilo an, als Petrus da Silva ihm eine Urkunde vorlegte. Ohne die Phiole aus
den Augen zu lassen, nahm er einen Gänsekiel und setzte seinen Namenszug unter
das Schreiben.
»Wollt Ihr nicht wissen, worum es geht?«, fragte der Kanzler. »Eine
Armenspeisung. Um Schaden von unserer geliebten Kirche abzuwenden. Das Volk
murrt, das Viehsterben und die Hungersnot â¦Â«
»Wie oft soll ich Euch noch sagen, dass Ihr mich mit Fragen der
Regierung in Ruhe lassen sollt?«, fiel Teofilo ihm ins Wort. »Wir haben andere
Sorgen!«
»Meint Ihr Euer Experiment?«, erwiderte der Kanzler. »Oder meint Ihr
Euren Gast?«
»Welchen Gast?«
Petrus da Silva zögerte, als habe er Angst, sich die Zunge zu
verbrennen. »Ich habe gehört, Contessa Ermilina habe Euren Taufpaten in den
Palast gerufen«, sagte er schlieÃlich.
»Giovanni Graziano? Davon ist uns nichts bekannt.«
Teofilo wunderte sich, wie selbstverständlich ihm inzwischen der Pluralis majestatis über die Lippen kam, wenn er von seiner
eigenen Person sprach. War das nur die Gewohnheit? Oder versteckte er sich
hinter dem Schutz dieser Würde, weil er sich vor einem Wiedersehen mit seinem
Paten fürchtete? Die Nachricht des Kanzlers rief gemischte Gefühle in ihm
hervor. Einerseits sehnte er Giovanni Graziano herbei wie keinen zweiten
Menschen. Wenn ihm jemand helfen konnte, in das Mysterium des Glaubens einzudringen,
dann dieser heiligmäÃige Mann. Doch andererseits â wie würde das Urteil seines
Paten über ihn lauten?
»Wenn ich mir einen Rat erlauben darf«, sagte Petrus da Silva. »Ihr
tätet gut daran, ihn nicht zu empfangen. Solche frommen Gottesmänner sind zwar
ein Segen für den Glauben â aber ihre Kenntnisse in irdischen Dingen? Meistens
stiften sie mehr Verwirrung als Ordnung. Und wie Ihr ja wisst, türmen sich die
Probleme!«
»Gar nichts weià ich«, erwiderte Teofilo, um sich sogleich zu
korrigieren. »Gar nichts wissen wir â wollten wir
sagen.«
Verärgert wandte er sich wieder seinem Experiment zu. Was sollte das
scheinheilige Getue? Der Kanzler wusste doch, wie seine Antwort auf Hungersnot
und Viehsterben lautete: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Aber davon wollten
Petrus da Silva und die Kardinäle ja nichts wissen und taten, was sie wollten,
egal ob er als Papst irgendwelche Urkunden unterschrieb oder nicht. Sie hatten
ihn ja nur zum Papst erhoben, weil er bei seiner Wahl noch ein Kind gewesen war â das hatte er zur Genüge begriffen.
»Hic est enim Calix Sanguinis mei.«
Abermals murmelte er die heiligen Worte, mit der ganzen Inbrunst
seines Glaubens, und leerte die Phiole in eine Schale. Er brauchte ein Zeichen,
um nicht verrückt zu werden! Ein Zeichen, dass Gott an seiner Seite war!
Ungeduldig wartete er, dass die Flüssigkeit abkühlte.
»Mysterium fidei: qui pro
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