Der Kindersammler
nicht von dieser Welt, der Spinner, dachte Kai zum wiederholten Mal, denn er wusste ganz genau, dass Enrico beim Durchlesen der Verträge höchstens die Hälfte, beim nuscheligen Vorlesen Bartolinis wahrscheinlich kein einziges Wort verstehen würde.
Die beiden Notariate fanden am selben Tag unmittelbar hintereinander statt. Anne trug ein leichtes Sommerkleid mit blassrosa Blumenmuster, das genau zu ihrer Stimmung passte. So leicht und glücklich hatte sie sich seit Felix' Verschwinden nicht mehr gefühlt. In ihrer Handtasche war ein bankbeglaubigter Scheck über hundertachtzigtausend Euro, Enrico hatte wahrhaftig darauf bestanden, noch zwanzigtausend Euro mit dem Preis runterzugehen.
Enrico trug eine dunkle Cordhose und ein auberginefarbenes Hemd, seine Haare waren frisch gewaschen und lockten sich am Hinterkopf, aber er sagte nicht viel. Er lächelte nur und reichte allen Anwesenden schweigend die Hand.
Er sieht aus wie ein Italiener, dachte Anne, ich muss ihn bei Gelegenheit mal nach seinen Eltern fragen. Es kann einfach nicht sein, dass nicht wenigstens ein kleiner Teil römischen oder neapolitanischen Blutes in seinen Adern fließt.
Im Kaufvertrag stand die Fantasiesumme von sechzigtausend Euro, um Notarkosten und Steuern zu sparen. »Das ist nichts Besonderes, das wird überall in Italien so gemacht«, beruhigte Kai Anne. »Und zwar ganz offen, vor den Augen der Notare.« Anne war darüber erschrocken und amüsiert zugleich.
»Dunque«, sagte Bartolini, lächelte breit, sah jeden der Anwesenden eindringlich an, indem er über den Brillenrand blickte, und begann zu lesen. Jeder zweite Satz wurde von ihm kommentiert, jede Bemerkung begann mit »dunque«, was so viel hieß wie »Also« und offensichtlich sein erklärtes Lieblingswort war.
Anne verstand kein Wort. Während des Lesens und Erklärens, das bestimmt eine halbe Stunde in Anspruch nahm, gab sich Anne ihren Träumen hin und wartete auf den Moment, in dem Valle Coronata endlich ihr gehörte.
»Dunque«, sagte Bartolini. »Altre domande?« Kai sah Enrico und Anne fragend an, Enrico schüttelte den Kopf, und Anne tat es ihm nach.
Daraufhin fragte der Notar noch einmal, ob beide mit der Verkaufssumme von hundertachtzigtausend Euro einverstanden seien, anschließend nahm er den bankbeglaubigten Scheck, prüfte ihn lange, legte ihn mitten auf den Tisch und ließ Enrico, alias Alfred Fischer, und Anne Golombek unterschreiben. Danach wurden die beiden Ausfertigungen des Compromesso, des Vorvertrags, in dem die tatsächliche Kaufsumme vermerkt war, feierlich in tausend Schnipsel zerrissen. Fotokopien hatten vor Gericht keine Gültigkeit.
Enrico steckte den Scheck in seine Hosentasche. Einfach so, als wäre es ein ganz gewöhnliches Stück Papier. Annes Herz klopfte bis zum Hals. Ihr Gesicht glühte vor Freude. Jetzt gehörte ihr Valle Coronata, und ein neues Leben begann.
Vor der Tür umarmte sie Enrico mit großer Herzlichkeit. Sie hatte das Gefühl, endlich einmal Glück gehabt zu haben. Glück, das darin bestand, diesem sonderbaren, aber so wunderbaren Mann begegnet zu sein.
Anne wartete in einem Cafe, bis auch der Vertrag zwischen Fiamma und Enrico unter Dach und Fach war. Anschließend lud Fiamma alle zusammen noch zu einem Glas Prosecco ein. Sie hatte grellrot geschminkte Lippen und küsste Kai und Enrico auf die Wangen, sodass beide mit ihren roten Lippenstiftflecken ziemlich albern aussahen. Dann gab sie Kai einen freundschaftlich-anzüglichen Klaps auf den Hintern und flüsterte, indem sie ihn einfach duzte: »Dein Freund Enrico gefällt mir, er gefällt mir sogar sehr, obwohl ..., für einen Halbitaliener kann er verdammt schlecht Italienisch. Und dieser fürchterliche Akzent!« Sie raufte sich die kunstvoll frisierten Haare und sah nun endlich wieder so wüst aus wie gewohnt.
Kai zuckte die Achseln. »Frag ihn, woran das liegt. Ich hab keine Ahnung.«
Fiamma schwang die Hüften und tänzelte mit ihrem Sektglas zu Enrico. »Wie geht es Ihrer Frau?«, schnurrte sie und sah ihm tief in die Augen.
»Gut«, sagte Enrico. »Aber sie fühlte sich heute Morgen nicht wohl, deshalb ist sie zu Hause geblieben.«
»Woher können Sie so gut Italienisch?«, fragte sie prompt und schenkte ihm ein breites Lächeln.
Enrico war einen Moment irritiert. Er wusste, dass sein Italienisch mehr als zu wünschen übrig ließ. Wollte Fiamma ihn auf den Arm nehmen oder einfach nur nett sein? Zum Glück war er von Kai über dessen Notlüge vorgewarnt
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