Der Kindersammler
Auto einfach mit, ja er rannte fast und stieg sofort ein.
Das Gewitter war ein Glücksfall für Enrico. Er hatte lange überlegt, wie er den Kleinen von seiner Höhle am Wasser weglocken könnte, aber dass es so leicht werden würde, hatte er sich nichtvorgestellt.
»Ich fahr dich die paar Meter nach Hause«, hatte er gesagt, als er den Motor startete, und der kleine Junge strahlte.
Als der gebrauchte Jeep, den er mittlerweile längst verschrottet hatte, jedoch in die entgegengesetzte Richtung davonfuhr, war es für Felix längst zu spät.
Nach wenigen Minuten, vielleicht waren es auch nur Sekunden, begriff Felix, dass der Mann ihn niemals nach Hause fahren würde, und die nackte Angst stand in seinem Gesicht.
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Enrico, bremste abrupt und drückte Felix ein mit Äther durchtränktes Taschentuch aufs Gesicht. Felix' Kopf sackte sofort weg, und Enrico konnte die lange Strecke durch den Wald unbehelligt weiterfahren. In Valle Coronata brachte er ihn sofort in die Mühle. Carla war nicht da. Niemand war da. Sie waren ganz allein und hatten alle Zeit der Welt.
»Du bist ja so still?«, fragte Carla. »Was ist denn los?«
Enrico schreckte aus seinen Gedanken hoch. »Das gibt es nicht«, sagte er langsam. »Das gibt es nicht, dass ein Kind einfach verschwindet. Nicht hier in dieser Gegend. Hier sitzen doch keine Menschenhändler und Pornohändler im Wald und warten auf kleine Jungs! Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass hier ein mysteriöser Kindermörder sein Unwesen treibt. Dann hätte er schon öfter gemordet. Nicht nur einmal. Und dann hätte man die Leichen gefunden.«
»Wie denn?«, fragte Anne. »Hier gibt es überall einsame Häuser, und zu fast jedem Haus gehören mehrere Hektar Grund. Wenn man da jemanden vergräbt..., wie soll die Leiche jemals gefunden werden?«
»Hier kommt auch nie jemand vorbei«, ergänzte Carla, »man kann stundenlang graben, ohne dass es jemand mitbekommt. Das ist in Deutschland schon schwieriger.«
»Stimmt«, log Enrico. »So hab ich mir das noch gar nicht überlegt.« Die Diskussion begann ihm Spaß zu machen. Es war ein Spiel mit dem Feuer, und das reizte ihn.
»Aber was glaubst du denn, was mit Felix passiert ist?«, wandte sich Anne an Enrico und nahm den Faden wieder auf. »Wenn für dich all die Möglichkeiten und Theorien nicht infrage kommen ..., hast du denn eine bessere Idee?«
»Es muss ein dummer Zufall gewesen sein. Dein Sohn war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Vielleicht gab es einen Unfall mit einem Wein oder Olivenbauern. Vielleicht hat ihn jemand mit seinem Trecker überfahren, oder ein Wilderer hat ihn versehentlich erschossen, oder der Hund eines Hirten hat ihn zu Tode gebissen, weil Felix wegrennen wollte und vielleicht hingefallen ist. Alles Dinge, durch die ein Mensch, der hier lebt, in arge Schwierigkeiten kommen kann. Da stehen eventuell Existenzen auf dem Spiel. Und deswegen hat derjenige Felix' Leiche einfach verschwinden lassen. So wie ihr sagt, irgendwo vergraben oder in eine alte Zisterne geworfen.«
»Das hilft mir aber nicht weiter.« Anne zündete sich eine Zigarette an. Die erste an diesem Tag. »Das sind auch alles nur Vermutungen. Und solange ich seine Leiche nicht gesehen habe, gehe ich davon aus, dass er noch lebt.«
»Dass du ihn suchst verstehe ich ja«, meinte Enrico. »Aber warum kaufst du dir dann gleich ein Haus? Vielleicht führt dich deine Suche ja sehr schnell sehr weit weg...?«
»Das kann sein. Aber mein Gefühl hat mir in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt, dass ich nach Italien muss. Ich hatte Heimweh nach diesem
Land, weil ich spürte, dass Felix hier irgendwo ist. Damals haben wir ihn verlassen, als wir unverrichteter Dinge zurück nach Deutschland fuhren, jetzt will ich ihm endlich nahe sein.«
Wie schnell könnte ich deine Suche ein für alle Mal beenden, dachte Enrico, aber ich tue es nicht. Den Teufel werde ich tun.
»Ich denke gerade an die beiden schwachsinnigen Söhne von Giacomo,« überlegte Carla. »Sie sind jetzt über vierzig und fahren den ganzen Tag auf ihren Vespas durch die Gegend. Sie tauchen überall auf, wo man sie am wenigsten erwartet. Ab und zu helfen sie ein paar Tage bei Waldarbeiten, aber wenn sie keine Lust mehr haben, hören sie einfach auf und hängen mit ihren Bierflaschen irgendwo herum. Sie gehen nie ins Dorf, das haben ihre Eltern ihnen verboten, weil sie sich für ihre Söhne schämen. Und manchmal sind sie dann wieder ein paar Monate
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