Der Klabautermann
in Frage kommenden Damen müßte es möglich sein, die Besitzerin des BHs ausfindig zu machen«, sagte Victor stolz.
»Und was hätten wir davon?« fragte Hellersen, weniger begeistert, als Victor angenommen hatte.
»Man könnte feststellen, wie der BH an das Flaggenseil gekommen ist, das heißt, wo die Dame ihn ›verloren‹ hat.« Das verloren klang ziemlich anzüglich.
»Und Sie glauben, das sagt sie Ihnen, Victor?«
»Mir nicht, aber Beatrice.«
»Und wie wollen Sie unter den fünfzehn Damen die richtige erkennen?«
»Auch das wird Beatrice übernehmen. BH-Größe und Körbchengröße sind als Etikett eingenäht; jetzt brauchen wir nur Beatrices fachmännisch-weiblichen Blick, um zu sagen: Das muß sie sein. Die paßt in den BH hinein … Nummer 5, Körbchen C, das ist immerhin was! Da wölbt sich was …«
»Ich will nicht Ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet hören, Victor, sondern vernünftige Vorschläge.« Hellersens Stimme klang zwar tadelnd, aber im Unterton hörte man ein Glucksen heraus. Victor war sich sicher, daß der Alte jetzt vor sich hinlachte. »Was machen Sie, wenn die von Beatrice herausgesuchte Dame alles leugnet? Wenn sie fest behauptet, sie vermisse keinen BH?«
»Das Monogramm W.M. Herr Kapitän.«
»Dafür kommen, wie Sie ja selbst sagen, fünfzehn Damen in Frage.«
»Mit M. Herr Kapitän. Das W. davor … darauf kommt es an. Es werden nicht alle fünfzehn Damen einen Vornamen mit W. haben.«
»Das leuchtet mir ein. Aber wenn W. nicht in Größe 5, Körbchen C paßt?«
»Herr Kapitän, jetzt komplizieren Sie alles. So etwas gibt es nicht. Wenn die Dame Wera Mederer …«
»Wera schreibt sich mit V, Victor. Wie Sie. Mit V!«
»Frau Wera Mederer schreibt sich mit W, Herr Kapitän. So steht's in der Passagierliste.«
»Dann habt ihr sie also schon, theoretisch?«
»Nein.« Victors Stimme wurde etwas kleinlaut. »Es gibt noch eine Frau Wilhelmine Möller …«
»Gratuliere!« Jetzt mußte Hellersen doch lachen. »Wer die Wahl hat … Nun wählen Sie mal schön, Victor.«
»Frau Wilhelmine Möller ist einundsechzig Jahre alt, Herr Kapitän.«
»Wie heißt das volkstümliche Sprichwort? Je oller, je doller …«
»Frau Wera Mederer ist neununddreißig.«
»Und auf diese Wera mit W tippen Sie natürlich.«
»Nach dem Gesetz der Logik und der Lebenserfahrung, Herr Kapitän …«
»Ihrer Lebenserfahrung, Victor!«
»So ist es!« Victor räusperte sich. Sein Charme war auf dem Schiff berüchtigt und begehrt; nach jeder Fahrt sagte er denn auch mit Jammermiene: Was kann ich denn dafür, wenn mir die Frauen nachrennen? Ich tue doch nichts. Ich stehe nur herum und gucke. Und ich bin höflich. Aber wie er seinen Blick auf Frauen richtete und sie mit seiner Höflichkeit anlockte, darüber ging er mit Schweigen hinweg.
»Was also habt ihr beiden vor?« fragte Hellersen. Er war ungeduldig; er wartete auf die Vergrößerung aus dem Fotoatelier. Oberzahlmeister Losse war unterdessen unterwegs, um Dr. Schwengler, einen Zahnarzt aus Wuppertal, in das rätselhafte Geschehen einzuweihen. Natürlich unter Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht. Die Schiffsleitung hatte sich auf Dr. Schwengler geeinigt, weil er nicht nur eine Kapazität auf dem Gebiet der Kieferchirurgie war, sondern auch mit seinen 72 Jahren über eine umfassende Lebenserfahrung verfügte.
»Beatrice wird sich zunächst an Frau Wera Mederer heranmachen und versuchen, einen Blick in einen ihrer anderen BHs zu werfen.«
»Wenn das nicht alles so ernst wäre, würde ich mir jetzt an den Kopf fassen!« sagte Hellersen mit einer Art Verzweiflung in der Stimme. »Victor, es geht nicht um einen BH … wir haben einen gefährlichen Irren an Bord! Das wissen wir seit heute mit großer Sicherheit.«
»Vielleicht ist Herr Mederer verrückt?«
»Und wenn das so weitergeht, sind wir's alle!« schrie Hellersen und legte auf.
Victor blickte auf seinen Telefonhörer, zuckte die Schultern und gab den Hörer an Beatrice weiter, die ihn auf die Gabel warf.
»Was sagte er?« fragte sie.
»Er brüllt, daß wir bald alle verrückt sind …«
»Womit er gar nicht so unrecht hat.« Beatrice faltete den BH zusammen und steckte ihn in eine bunte Tüte mit dem Bild des Schiffes. »Wenn ich Wera oder Wilhelmine wäre, könnte man mich in Stücke hacken – ich würde nichts sagen!«
Dr. Hans-Jakob Schwengler, Passagier in Kabine Nummer 143, erklärte sich sofort bereit, den Gebißabdruck auf dem Hallau-Manuskript zu begutachten. Er war
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