Der Klang der Zeit
des Staates. Heute gebe ich dir mein Wort, nur dir allein.« Hinterher war sie wieder ganz für sich und überlegte, ob es war, wie sie es erwartet hatte, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, was sie erwartet hatte; er lächelte, so voller Verwirrung, dass sie eine entsetz-liche Ewigkeit lang glaubte, sie hätten etwas falsch gemacht.
Er machte eine Handbewegung hinter dem Rücken, eine Art Abschiedswinken an die Vergangenheit. »Ich spüre einen kleinen Jungen auf meiner Schulter. Er ist schwer. Wie ein alter Mann. Er will, dass ich irgendwo hingehe!«
»Wohin?«, fragte sie und berührte seine Lippen.
»Da wo wir hingehen!«
Und dann war der kleine Junge plötzlich da. Und ein Zweiter unterwegs. Je mehr es sind, desto geringer die Gefahr. David betrachtet ihre zweite Schwangerschaft ebenso ehrfürchtig wie die erste. Beide staunen sie über ihre Launen und Gelüste. Sie ist bald herrisch, bald lammfromm, glaubt, dass den Dingen eine Seele innewohnt und lauscht auf jedes Knarren der Dielen. Am liebsten würde sie ihren Erstgeborenen ständig an sich drücken, das zweite Kind in ihrem Leib, und ihr Mann soll über dem Ganzen wachen, als sei die Wohnung eine dunkle, weiche Höhle im Innern der Erde.
Die zweite Schwangerschaft ist ganz anders als die erste. Jonah hat in ihrem Bauch unablässig gestrampelt und getobt. Dieses Kind lässt sie in Ruhe. Beim ersten Mal waren die beiden Erwachsenen allein. Jetzt haben sie dieses quirlige, plappernde, goldbraune Wesen an ihrer Seite, das ihr eigenes ungläubiges Staunen in Worte fasst. »Mama dick. Macht neuen Jonah. Ein Baby.«
David nimmt dem Jungen alle Furcht. Spätnachmittags hocken sie zusammen auf dem Teppich im Wohnzimmer und bauen ganze Städte aus Haferflockenkartons und Konservendosen, erklären sich gegenseitig, wie die Welt funktioniert. Sie könnte ihnen ewig zusehen. Der Junge hat die Augen und den Mund von seinem Vater, den gleichen erstaunten, amüsierten Gesichtsausdruck. David versteht sogar Jonahs rätselhafte Gedanken aus der Zeit vor seiner Geburt. Er kann das Kind mit zwei hölzernen Wäscheklammern und einem Stück Schnur in Bann schlagen. Doch wenn ihr Kleiner unruhig ist oder Angst hat, wenn er sich fürchtet in dieser viel zu großen Welt, dann gibt es nur eins: Er schmiegt sich an seine Mutter und legt das Ohr auf ihre Brust, während sie singt.
Der Krieg hat sie nun endlich auch erreicht. Pearl Harbor ist fast eine Enttäuschung, so lange warten David und sie schon. Auch diese Erschütterung trennt die beiden Schwangerschaften. Delia muss sich Tag für Tag ins Gedächtnis rufen, dass sie jetzt an der Weltkatastrophe beteiligt sind, so wenig hat sich in ihrem Leben verändert seit der Ansprache des Präsidenten. Ihr Land führt Krieg gegen das Land ihres Mannes, auch wenn er seine alte Staatsbürgerschaft abgelegt und die ihre angenommen hat. David bei der Vereidigung, zusammen mit einem Saal voller lächelnder Einwanderer, die mit ihrem frisch gebackenen Wissen über Exekutive, Legislative und Judikative glänzen. David hat darauf bestanden, dass sie ihm den gesamten Text der unsingbaren Nationalhymne beibringt, Worte, die ihr die Schamesröte ins Gesicht treiben, wenn sie versucht, sie zu erklären. David, der Logiker, sucht nach einer Verständnishilfe für den doch so eindeutigen Text der Unabhängigkeitserklärung. »Aber heißt das nicht ...?« Sie muss ihm einschärfen, dass er sich mit dem Richter, der über die Einbürgerung entscheidet, nicht auf einen Streit über dieses Thema einlassen darf.
Sie beschließen, mit den Kindern nur Englisch zu sprechen. Sie wollen sie nicht verwirren, sagen sie. Später können sie immer noch eine andere Sprache lernen. Was sollen sie auch anders tun? Ihr Bruder Charlie meldet sich freiwillig – Michael und ihr Vater würden es ebenfalls tun, auf der Stelle, wenn die Armee alte Männer und Kinder nähme. Sie sorgt sich Nacht für Nacht, dass David eingezogen werden könnte. Nach Deutschland würden sie ihn sicher nicht schicken, aber sie könnten ihn ja in den Pazifik verlegen. Schließlich nehmen sie Männer mit noch viel schlechteren Augen.
»Mach dir keine Sorgen, Schatz«, sagt er.
Das treibt sie zum Wahnsinn. »Wie kannst du sagen, ich soll mir keine Sorgen machen! Sie ziehen jeden ein. Schlimm genug, dass mein: Bruder
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