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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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Uni-versität gehangen. Jetzt waren sie heimgekehrt in ein Zuhause, das keiner der Menschen, die auf den Bildern zu sehen waren, wiedererkannt hätte. Eines zeigte ein Paar mit einem Baby. Ein gedrungener Mann mit kurzen, schon ein wenig schütteren Haaren stand neben einer schmalen Frau in gemustertem Kleid, das Haar zurückgekämmt und zu einem Knoten gesteckt. Die Frau hatte ein Bündel im Arm, in eine flauschige Decke gewickelt. Teresa zeigte mit dem Fingernagel auf das verschnürte Baby. »Du?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Jonah vermutlich.«
    Eine diskrete Pause. »Wer sind die beiden?«
    Ich konnte es ihr nicht sagen. An den Mann konnte ich mich dunkel erinnern, aber auch das kam vielleicht nur von dieser Fotografie. »Meine Großeltern.« Und dann, der Gipfel der Einfalt: »Die Eltern meiner Mutter.«
    Der Tag kam, an dem mein Vater zu krank zum Arbeiten geworden war. Er saß immer noch mit seinen Sternenkarten und seinen Zahlentabellen da, den Kopf über die ellenlangen Gleichungen mit den grie-chischen Buchstaben gebeugt. Aber er konnte sich keinen Weg durch die Rechnungen mehr bahnen. Er schien eher verwundert darüber als unglücklich. Die Medikamente hatten ihn schon in eine Welt entführt, in der es keinen Schmerz mehr gab. Vielleicht staunte er auch nur, dass die Fakten einfach nicht mit der Theorie mithalten konnten.
    »Und?«, fragte ich. »Hat das Universum nun eine bevorzugte Richtung?«
    »Ich weiß es nicht.« Seine Stimme hätte nicht ungläubiger klingen können, wäre er gerade dahinter gekommen, dass er nie existiert hatte. »Anscheinend ist es dem Universum gleich, ob es sich in die eine oder in die andere Richtung dreht.«
    Zuletzt wollte er singen. Das hatten wir schon seit Jahren nicht mehr getan. Ich hätte nicht einmal genau sagen können, wann wir aufgehört hatten. Mama war gestorben. Jonah war Profi geworden. Ruth hatte in einer Art Abscheu ihre Engelsstimme aufgegeben. Und so war unser Familienchor verstummt. Dann, eines Tages im ersten Winter dieses neuen, fremden Jahrzehnts wollte mein sterbender Vater das Versäumte nach-holen. Aus den turmhohen Stapeln seiner Berechnungen zog er ein Bündel Notenblätter hervor, Madrigale. »Kommt. Wir singen.« Er drückte jedem von uns ein Blatt in die Hand.
    Ich blickte Teresa an, die nach einer Ecke suchte, in die sie sich verkriechen konnte. »Teresa kann keine Noten lesen, Pa.«
    Er lächelte: Wir sollten ruhig unseren kleinen Spaß haben. Doch als er begriff, dass ich es ernst meinte, blickte er fassungslos. »Wie kann das sein? Du hast gesagt, sie singt mit dir?«
    »Das tut sie. Sie ... lernt es auswendig. Nach dem Gehör.«
    »Wirklich?« Die Idee faszinierte ihn, als sei ihm erst in diesem Augen-blick aufgegangen, dass so etwas möglich war. Eine unverhoffte Offen-barung auf dem Sterbebett. »Wirklich ? Dann lernen wir das Lied aus-wendig, zusammen mit ihr.«
    Ich wollte kein Terzett mit einem vor Schrecken starren Mädchen und einem todkranken Mann singen. Auch ich hatte mein altes Grundver-trauen in die Welt der Töne verloren. Und wir drei konnten Pa unmög-lich das geben, was er brauchte – einen Blick in eine Welt, die uner-reichbar geworden war. Musik war immer sein Dank für das unwahr-scheinliche Glück seines Lebens gewesen, die Tatsache dass er davon-gekommen war, sein Kaddisch für die, die das Schicksal hatten erleiden müssen, das für ihn bestimmt gewesen war. »Wie wär's, wenn T. und ich dir etwas vorsängen? Direkt aus dem Glimmer Room, Atlantic City!«
     »Das wäre sogar noch schöner.« Seine Stimme versiegte, kaum noch zu hören.                                                                                    
    Ich weiß nicht wie, aber Sankt Teresa wuchs in diesem schweren Augenblick über sich hinaus. Zumindest sie glaubte noch an die Musik. Ich spielte auf dem Klavier, das schon seit Jahren unberührt in Fort Lee stand. Und die weiße katholische Elektrikertochter aus der Bonbonfabrik sang wie eine Sirene. Die Nebel um mich lichteten sich, und ich ging ihr entgegen. Wir stimmten »Satin Doll« an, so weit entfernt von dem Monteverdi, den Pa ausgesucht hatte, wie überhaupt nur möglich. Aber der, der diese Puppe gemacht hatte, hatte ja selbst einmal gesagt, dass es nur zwei Arten von Musik gebe. Und dies hier war die gute.
    Pas Gesicht war längst aschfahl, das Lachen in seinen Augen glasig. Aber als Teresa und ich

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