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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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gestorben?« Ich muss länger geschwiegen haben, als mir bewusst war. »Ich habe ein Recht, das zu wissen. Es könnte auch in meinen Söhnen stecken.«
    »Krebs.«
    Sie zuckte zusammen. »Welche Art?«                                        
    »Bauchspeicheldrüse.«                                                            
    Sie nickte. »Das bekommen wir auch.«
    »Er hat ein bisschen Geld hinterlassen. Ich habe ein Sparbuch auf deinen Namen angelegt. Mit den Zinsen dürfte es inzwischen eine ganz anständige Summe sein.«
    Sie rang mit sich. Abwehr contra Bedürftigkeit: Beides weit größer, als ich je gedacht hätte. Sie sah mich mit gehetzter Miene an. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie dieses Erbe annehmen durfte oder ob sie es mit verstoßen musste. »Später, Joseph. Das braucht Zeit.«
    »Er hat dir eine Botschaft hinterlassen.« Seit einem ganzen Jahrzehnt hatte ich nicht mehr daran gedacht. »Etwas, das ich dir sagen soll.«
    Ruth duckte sich, als hätte ich sie geschlagen. Ich drehte die Handflächen nach oben. Ich fühlte mich nicht schuldig. Ich wollte nur meine Botschaft überbringen, dann war meine Arbeit getan.
    Sie presste sich die Hände an die Schläfen, hasste mich dafür, dass ich ihr das nicht erspart hatte. Sie ballte die Fäuste, ein letztes Aufbäumen vor der Kapitulation. »Lass mich raten: ›Ich weiß, im Grunde deines Herzens bist du ein gutes Mädchen. Ich verzeihe dir.‹«
    »Ich soll dir sagen, an jedem Punkt, auf den du das Teleskop richtest, findest du eine neue Wellenlänge.«
    »Was ist denn das für ein Scheiß? Was soll ich damit anfangen?« Sie hatte sich eine andere Botschaft gewünscht, auch wenn sie es sich nie eingestanden hätte. Diese hier ließ sie nur umso einsamer zurück.
    »Er war sehr krank, Ruth. In seinen letzten Tagen hat er alle möglichen Dinge gesagt. Aber ich musste ihm versprechen, dass ich dir das aus-richte, wenn ich jemals die Chance dazu hätte.«
    Pas letzte Worte waren so unverständlich, lange konnte ihre Wut sich daran nicht entzünden. Auf einen derart aussichtslosen Kampf konnte sie sich nicht einlassen. »Der Mann hat ja noch nie mit mir reden können.« Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. »Vom ersten Tag an nicht.«
    »Ruth. Das mit Robert ... geht mir nicht aus dem Sinn.« Sie würgte einen winzig kleinen Laut des Spottes hervor. Tatsächlich? »Sei mir nicht böse. Aber kann ich dich etwas fragen?«
    Sie zuckte mit den Schultern: Du kannst mich nichts fragen, was ich mich nicht schon selbst gefragt habe.
    »Was habt ihr zwei gemacht, damals in New York?«
    Sie sah mich an, verblüfft. »Was wir gemacht haben?«
    »Als ihr zu mir nach Atlantic City kamt. Da wart ihr in Schwierigkeiten. Und zwar in ernsten. Die Polizei war hinter euch her.«
    Sie wandte den Blick ab, selbst für Verachtung zu erschöpft. »Du wirst es wirklich nie, niemals begreifen, nicht wahr, Bruderherz?« Es klang wie Mitleid.
    »Du sagst, die Polizei habe Roberts Autonummer durch ihren Computer gejagt. Sie hätten ...«
    Meine Schwester atmete tief ein, als wolle sie in ihrem Inneren Platz für mich schaffen. »Wir haben ein Asyl für Straßenkinder betrieben. Das haben wir gemacht. Haben ihnen Cornflakes gegeben und sie dazu Black is beautiful singen lassen. Alles andere war Hoover. Der hat aus uns den Staatsfeind Nummer eins gemacht. Mitten in der Nacht riefen FBI-Agen-ten an, drohten, dass sie unser Hirn auf dem Bürgersteig verspritzen würden. Dass sie uns bis ans Ende unserer Tage hinter Gitter stecken. Aber wir waren ja längst hinter Gittern, Joey. Das ist unser Verbrechen. Es macht ihnen ein schlechtes Gewissen, was sie uns angetan haben. Das war unsere Arbeit in New York. Und dann haben wir in Oakland wie-tergemacht. Bis sie sich Robert geholt haben, und er ist in ihrem Kran-kenhaus gestorben.«
    Das war das letzte Mal, dass ich ihr eine weiße Frage gestellt habe.
     
    Das Haus meines Großvaters war ein offenes Haus, wo es für nichts feste Pläne gab. Alles in der Catherine Street hatte seinen Sinn, aber das Tempo wechselte. An meinem zweiten Abend versammelte sich die Verwandtschaft. Mein Onkel Michael erschien mit fast der gesamten Familie: mit Frau, zwei Töchtern und den Kindern meiner Cousinen. Ich traf meine Zwillingstanten Lucille und Lorene wieder, lernte ihre Männer und etliche Kinder und Enkelkinder kennen. Ich war ein Ku–riosum, das alle

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