Der kleine Freund: Roman (German Edition)
aushalten konnte, streckte er den Kopf unter dem Sitzsack hervor.
Die Kisten funkelten im Dunkeln. Ein schiefes Rechteck aus Licht ergoss sich durch die Tür auf den schnupftabakbraunen Teppich. Durch den Türrahmen – Hely kroch auf den Ellenbogen ganz langsam vorwärts – sah er ein schmuddelig gelbes Zimmer, von einer Glühbirne unter der Decke strahlend hell erleuchtet. Eine hohe Hinterwäldlerstimme sprach, schnell und undeutlich.
Eine grollende Stimme fiel ein: »Jesus hat nie was für mich getan, und das Gesetz wird es ganz bestimmt nicht tun.«
Hely krallte die Finger in den Teppich; er lag wie versteinert da und versuchte, nicht zu atmen. Dann sprach eine andere Stimme, entfernt und missgelaunt. »Diese Reptilien haben nichts mit dem Herrn zu tun. Sie sind bloß fies.«
Der Schatten in der Tür gab ein unheimliches, schrilles Kichern von sich – und Hely erstarrte zu Eisen. Farish Ratliff. Sein schlimmes Auge – fahl wie das eines gekochten Hechts – bohrte sich in die Dunkelheit wie der Lichtstrahl eines Leuchtturms.
»Ich sag dir, was du tun solltest ...« Zu Helys ungeheurer Erleichterung entfernten sich die schweren Schritte. Aus dem Nebenzimmer kam ein Knarren, als werde ein Küchenschrank geöffnet. Als Hely endlich die Augen aufmachte, war die erleuchtete Tür leer.
»... was du tun solltest, wenn du keine Lust mehr hast, sie rumzuschleppen: Dann solltest du sie alle in den Wald fahren und sie laufen lassen und erschießen. Knall sie ab, jede Einzelne. Verbrenn sie«, fuhr er über die Einwände des Predigers hinweg lautstark fort. »Schmeiß sie in den Fluss – mir egal. Dann bist du das Problem los.«
Streitbares Schweigen. »Schlangen können schwimmen«, sagte dann eine andere Stimme – auch männlich, weiß, aber jünger.
»In so ’ner verdammten Kiste werden sie aber nicht weit schwimmen, oder?« Es knirschte, als habe Farish in etwas hineingebissen. In scherzhaftem Ton, Krümel im Mund, redete er weiter. »Hör mal, Eugene, wenn du nicht mit ihnen rumkaspern willst – ich hab meinen .38er unten im Handschuhfach. Für zehn Cent geh ich jetzt da rein und bring sie alle um.«
Helys Herz setzte aus. Harriet! dachte er wild. Wo bist du? Das waren die Männer, die ihren Bruder ermordet hatten! Wenn sie ihn fänden (und sie würden ihn finden, da war er sicher), würden sie auch ihn ermorden ...
Welche Waffe hatte er? Wie sollte er sich verteidigen? Eine zweite Schlange hatte sich neben der ersten am Gitter heraufgeschoben; ihre Schnauze lag unter dem Kiefer der anderen, und sie sahen aus wie die ineinander verdrehten Schlangen am Äskulapstab. Ihm war noch nie aufgefallen, wie widerlich dieses verbreitete Symbol war – in Rot auf die Spendenumschläge seiner Mutter für die Gesellschaft gegen Lungenkrankheiten gedruckt. Seine Gedanken überschlugen sich, und ihm war kaum bewusst, was er tat, als er die zitternde Hand ausstreckte und den Verschluss der Schlangenkiste vor ihm öffnete.
So, das wird sie bremsen, dachte er, und er rollte sich auf den Rücken und betrachtete die styroporverkleidete Decke. In dem Durcheinander, das entstehen würde, könnte er vielleicht entkommen. Und selbst wenn er gebissen würde, könnte er es vielleicht noch bis zum Krankenhaus schaffen.
Eine der Schlangen hatte sprunghaft nach ihm geschnappt, als er nach dem Riegel gegriffen hatte. Jetzt fühlte er etwas Klebriges auf seiner Handfläche – Gift? Das Ding hatte zugestoßen und ihn durch das Gitter besprüht. Hastig rieb er die Hand am Hosenboden seiner Shorts; hoffentlich hatte er da keinen Schnitt oder Kratzer, den er vergessen hatte.
Die Schlangen brauchten eine Weile, bis sie begriffen, dass sie frei waren. Die zwei, die am Gitter gelehnt hatten, waren
sofort herausgefallen; ein paar Augenblicke lang lagen sie bewegungslos da, bis andere Schlangen über sie hinwegglitten, um zu sehen, was hier los war. Ganz plötzlich, als habe man ihnen ein Zeichen gegeben, schienen sie zu verstehen, dass sie frei waren, und schlängelten sich erfreut heraus, fächerförmig in verschiedene Richtungen.
Hely wand sich schwitzend unter dem Sitzsack hervor und kroch, so schnell er es wagen konnte, an der offenen Tür vorbei, durch den Lichtschein, der von nebenan hereinfiel. Ihm war schlecht vor Angst, aber er wagte nicht, ins andere Zimmer hineinzusehen, sondern schaute starr nach unten, weil er befürchtete, sie könnten seinen Blick auf sich spüren.
Als er wohlbehalten an der Tür vorbei
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