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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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natürlichen Schutzschirm entlang. Er wandte den Kopf in alle Richtungen, hielt mit wachsamem Auge Ausschau
    nach Verdächtigem und blieb in Deckung. Er konnte es sich nicht
    erlauben, gesehen zu werden – wenn Mr. Pullman oder der Officer
    ihn entdeckten, wäre alles vorbei, und sie würden ihn nach Hause
    schicken. Es konnte auch passieren, dass sie ihn aus Versehen
    erschossen. Er musste sehr, sehr vorsichtig sein.
    In diesem Augenblick kam es ihm ganz und gar nicht abwegig
    vor, an all das zu denken, was die Gilberts für ihn getan hatten – sie hatten ihm das Doppelte dessen gezahlt, was andere Gärtnereien
    ihren Hilfskräften zahlten, waren für die Kurse an der Uni
    aufgekommen, ja, hatten ihm sogar bei der Miete ausgeholfen, wenn er am Ersten des Monats mal knapp bei Kasse gewesen war. Er
    wusste, dass sie es nicht erwartete, aber irgendwann würde er Mrs.
    Gilbert alles bis auf den letzten Penny zurückzahlen. Es war das
    Mindeste, was er tun konnte.
    Er spürte eine heimliche Freude, als ihm bewusst wurde, dass er
    sich jetzt auf dem Gelände der Gärtnerei befand und ihn, bis jetzt jedenfalls, niemand entdeckt hatte – ausgemacht hatte, wie er sich korrigierte. Teufel, er war ja richtig gut. Vielleicht sollte er zu studieren aufhören und zur CIA gehen.

    Als Marty Pullman sich das letzte Mal so gefühlt hatte – als hätte jemand einen Schalter umgelegt und sein Gehirn abgestellt –, hatte er auf dem kalten Beton der Auffahrt zum Parkplatz gesessen und
    auf seine tote Frau geschaut.
    Die Gefühle, die ihn an jenem Abend überwältigt hatten,
    kämpften wieder um ihren Platz in der Reihe – Fassungslosigkeit,
    Empörung, Schock und schließlich eine unendliche Traurigkeit. Jack hatte Recht mit diesem blöden Elvis-Vergleich, denn seine Welt war in ihren Grundfesten erschüttert und auf den Kopf gestellt. Wie
    kommt man darüber hinweg, dass jemand, den man verehrt, ja,
    vergöttert hat, weil er so viel besser war, als man jemals hoffen konnte, selbst zu sein, dass dieser Mann genauso viele Fehler gehabt hatte wie man selbst. Im Zweifel sogar ein paar mehr, dachte er,
    wenn man es rein zahlenmäßig betrachtete. Wie um sich von dem
    Schock abzulenken, hatte er den albernen Versuch unternommen, zu
    schätzen, wie viele Menschen Morey wohl in all den Jahren
    umgebracht hatte, währenddessen er seinen Schwiegersohn, den
    Polizisten, jeden Sonntag zum Abendessen zu Gast hatte. Als
    Entrüstung in ihm aufstieg, ebenso wie das Gefühl, verraten worden zu sein, hätte er beinahe laut gelacht. War es wirklich ein so großer Unterschied, ob man Nazis ermordete oder den Mörder der eigenen
    Frau?
    Kein Wunder, dass du ihn so geliebt hast. Ihr wart zwei von
    derselben Sorte.
    Jack war während der vergangenen Minuten stumm geblieben.
    Vielleicht hatte er Marty Zeit geben wollen, zu verdauen, was er ihm bis dahin eröffnet hatte, vielleicht wartete er aber nur auf die große Frage, die zu stellen Marty sich fast fürchtete. Rose Kleber war also an der Reihe gewesen, auf den alten Mann zu schießen, der bereits auf dem Boden hinter dem Empfangstresen des Anglerheims lag,
    und danach hatte sie die Waffe an Jack weitergereicht.
    Was hast du gemacht, Jack? Verflucht, was hast du gemacht?
    Jack kicherte betrunken, und Marty merkte, dass er die Frage laut ausgesprochen hatte. «Übergeben habe ich mich. Habe auf den
    Boden gekotzt, auf die Waffe und auf die Hand der alten Lady.
    Mann, war die sauer. Aber nicht so sauer wie Pop. Er forderte mich immer wieder auf, zu schießen, ‹Erschieß den Nazi-Hund›, rief er
    wörtlich, und mir dämmerte zum ersten Mal, was da ablief. Wenn
    der Mann eine SS-Uniform angehabt und jemanden gefoltert hätte,
    vielleicht hätte ich es dann getan. Ich schätze, ich werde es nie wissen. Aber ich sah keinen Nazi vor mir. Ich sah nur diesen alten, fürchterlich zugerichteten und toten Mann.»
    «Du hast nicht auf ihn geschossen.»
    «Um Himmels willen, Marty, natürlich nicht. Für wen hältst du
    mich?»
    «Ich weiß nicht, Jack. Du überraschst mich immer wieder.»
    «Die ganze verdammte Familie steckt voller Überraschungen,
    hm?», sagte Jack bitter. «Jedenfalls hat Pop mir auf dem
    Nachhauseweg erzählt, was sie die ganzen Jahre über getan hatten, viele Dinge über Auschwitz, die ich lieber nie erfahren hätte, und dass es verdammt noch mal meine Pflicht als sein Sohn sei, sein
    Vermächtnis, dieses ‹Werk› zu vollenden, wenn er sterben sollte,
    bevor es getan sei.»
    «Und was

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