Der Köder
wir die Augen vor der Möglichkeit, dass sie durchaus eine Mörderin sein könnte, die ihr verdammt Möglichstes getan hat, Beweise zu
vernichten.»
Malcherson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und seufzte. «Sie
haben die Dame befragt, Detective Magozzi, und in Ihrem Bericht
als nicht verdächtig aufgeführt.»
«Dazu stehe ich auch, wenigstens im Moment», sagte er und
dachte dabei über Ginos Interpretation der Ereignisse nach – Lily Gilbert, die ihren Mann durch die Gegend schleifte wie einen Sack Getreide – und dagegen seine eigene Vorstellung von einer
verwirrten älteren Frau, die sich abmühte, ihren Mann aus dem
Regen zu schleifen, damit sie ihn «herrichten» konnte. Beide
Theorien ergaben Sinn. Er war sich nur nicht hundertprozentig
sicher, welche stimmte. «Aber wie Gino schon sagte, bin ich
ebenfalls der Meinung, dass da noch irgendwas anderes ist. Sie ist eine ziemlich hartgesottene Dame und verschlossen dazu. Könnte
sein, dass sie mehr weiß, als sie rauslassen will. Könnte sein, dass sie jemanden deckt. Ich weiß es einfach noch nicht.»
Ginos Miene erhellte sich augenblicklich. «He, das gefällt mir.
Vielleicht deckt sie ja ihren Fiesling von Sohn. Klar, sie hasst ihn wie die Pest, aber sie hat eben doch diese mütterliche Ader. Also stellen wir uns vor: Jack Gilbert ist in seinem Club und zieht sich den Scotch rein wie mit einem Saugrüssel. Es dauert nicht lange, da fängt er an, über sein Leben zu grübeln und über den erschreckenden Zustand seiner familiären Bindungen. Er wird rührselig. Der alte
Herr wird nicht jünger, und Jack denkt sich, endlich sei die Zeit gekommen, den Streit beizulegen. Als die Bar schließt und er
rausgeschmissen wird, nimmt er sich vor, seinem Vater einen
Besuch abzustatten und das Kriegsbeil zu begraben. Aber die Sache läuft nicht gut, und ehe er sich's versieht, ist sein Vater tot, und er steht da, die rauchende Waffe in der Hand.»
Malcherson war an die Theorien gewöhnt, die Gino aus dem
Ärmel zu schütteln pflegte. «Ich nehme nicht an, dass Sie über
konkrete Beweise verfügen, um diese Schlussfolgerungen zu
untermauern.»
«Auch nicht die geringsten», erwiderte Gino fröhlich. «Ist mir ja alles erst in dieser Minute eingefallen.»
«Hat Jack Gilbert ein Strafregister?»
Gino schüttelte den Kopf. «Hat er nicht. Nur zwei Anzeigen
wegen Trunkenheit am Steuer und etliche Strafzettel wegen
Geschwindigkeitsübertretung. Weder unter seinem Namen noch
unter dem seiner Frau ist eine Waffe registriert. Aber das hat ja nichts zu bedeuten. Und er ist Schadenersatzanwalt», fügte er wie aus heiterem Himmel hinzu.
«Geben Sie mir bitte eine Kurzdarstellung des zeitlichen
Ablaufs.»
Magozzi blätterte im Gewusel der von Eselsohren gezierten
Seiten seines Notizbuchs. «Nach Aussagen von Mrs. Gilbert verlief alles gewohnheitsmäßig – sie ging gleich nach den Nachrichten zu
Bett, und Morey blieb auf, um Papierkram und ein paar zusätzliche Dinge im Gewächshaus zu erledigen. Sie sagte, dass er in der Regel gegen Mitternacht schlafen ging, aber für die Nacht seines Todes
kann sie das nicht bestätigen.»
Malcherson runzelte fragend die Stirn.
«Sie hatten getrennte Schlafzimmer, Sir. Sie sagte, sie habe
durchgeschlafen und sei wie immer gegen sechs Uhr dreißig wach
geworden. Fand ihn kurz darauf vor dem Gewächshaus. Aber der
Gerichtsmediziner nimmt an, dass der Tod zwischen zwei und vier
Uhr eingetreten ist.»
«Für einen älteren Mann ein bisschen spät, um noch im Freien
Gartenarbeit zu erledigen.»
Magozzi nickte. «Haben wir auch gedacht, Sir. Entweder gab es
etwas, das Morey Gilbert über seine Schlafenszeit hinaus wach
gehalten und vor die Tür gelockt hat, oder da war etwas, das ihn
später wieder nach draußen holte.»
«Vielleicht auch jemand, zum Beispiel sein Sohn», wollte Gino
seiner aktuellen Lieblingstheorie Nachdruck verleihen. «Oder wenn Ihnen das mit dem Sohn nicht gefällt, wie wär's denn mit der
Ehefrau? Ich könnte mich mit beidem anfreunden.»
Malcherson schenkte ihm einen jener leidgeprüften Blicke, die
man bei Eltern sieht, wenn sie sich zum hundertsten Mal einem
Problemkind zuwenden. «Ihr Mitgefühl für trauernde Verwandte
weckt in mir Hoffnung für die Menschheit, Detective Rolseth.»
«Die Sache ist die, dass ich bei dem Personenkreis nicht viel
Kummer erkennen kann, Chief. Zeigen Sie mir Kummer, dann zeige
ich Ihnen Mitgefühl.»
«Alles läuft darauf hinaus», warf
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