Der König Der Komödianten: Historischer Roman
Marmorkirchen, die mit ihrer Pracht die Plätze, an denen sie standen, förmlich erschlugen. Mit der Zeit wurden mir auch die Unterschiede zwischen Reichtum und Elend bewusst, die sich oft auf engstem Raum an der Bebauung zeigten. Hatte man eben noch einen vor Zierrat überbordenden Palast bewundert, konnte man sich kaum fünfzig Schritte weiter vor einem verwahrlosten Mietshauswiederfinden. Neben samtbehängten Gondeln sah man morsche alte Kähne treiben, und Juweliere boten ihre Kostbarkeiten in vornehmen Läden an, die keinen halben Steinwurf von einem lärmenden Fischmarkt entfernt waren.
Auch in der Kleidung und im Auftreten der Menschen spiegelten sich solche Unterschiede wider, ohne dass eine räumliche Trennung sichtbar gewesen wäre. Herausgeputzte Patrizier flanierten auf denselben Plätzen, auf denen Bettler mit verbundenen Beinstümpfen hockten oder schmutzige Arbeiterkinder Fangen spielten.
Ein ähnlich buntes Durcheinander von Arm und Reich herrschte auch am Tag der Sensa auf der Piazza San Marco und der angrenzenden Mole, wo sich das Volk in Massen versammelt hatte, um die Prunkbarke des Dogen hinausfahren zu sehen.
Die Incomparabili hatten einträchtig beschlossen, dem Spektakel beizuwohnen. Wir brannten alle darauf, besonders ich, der ich bisher weder den Dogen noch dessen sagenumwobene Galeere zu Gesicht bekommen hatte.
Fanfarenbläser und Trommler hatten Aufstellung bezogen, und das schmetternde Getöse der Instrumente deutete darauf hin, dass es bald losgehen würde.
»Das Schiff !«, sagte Cipriano neben mir. »Da kommt es!«
Und tatsächlich, aus der Richtung des Arsenals glitt es heran, eine große Galeere, zum Takt einer weithin hallenden Trommel von über hundert Männern im Gleichmaß gerudert. Die Aufbauten waren überdacht von purpurnen Samtbaldachinen und mit so viel Gold beschlagen, dass man kaum hinsehen konnte, ohne davon geblendet zu werden.
Begleitet wurde die Festgaleere von vielen kleineren, ebenfalls aufwendig geschmückten Booten. Auch sonst sah man überall auf dem Wasser, so weit das Auge reichte, Gondeln und Sàndoli, von denen aus die Menschen die Fahrt des Bucintoro verfolgen konnten.
Wir hatten Plätze beim Ponte della Paglia ergattert und daher gute Sicht auf das Geschehen. Edelleute reihten sich an der Mole auf und bildeten ein Spalier für den obersten Würdenträger der Serenissima – den Dogen.
Hier wurden meine Erwartungen das erste Mal enttäuscht. Den alles überragenden, strahlenden Herrscher, den ich mir vorgestellt hatte, bekam ich nicht zu Gesicht. Der Doge war nur ein alter Mann, der unter der Last des schweren Mantels aus Goldbrokat fast zusammenbrach, obwohl ihm eine Handvoll Lakaien die Schleppe hinterhertrugen. Die Kopfbedeckung, ebenfalls golden und nach hinten aufstrebend wie ein Horn, schien ihn eher niederzudrücken statt ihn zu erhöhen.
Der Jubel der Umstehenden fiel entsprechend verhalten aus. Bloß vereinzelt waren Vivat -Rufe zu hören. Lautstarke Begeisterung kam erst auf, als der Doge stolperte und nur durch beherztes Zupacken eines der vielen ihn umwuselnden Robenträger vor dem sicheren Sturz bewahrt wurde.
»Was war gerade los?«, wollte Rodolfo wissen. Fluchend versuchte er, zwecks besserer Sicht das Brückengeländer zu erklimmen.
»Der Doge ist gestolpert«, sagte ich. »Und du fällst gleich ins Wasser.«
Inzwischen war ich so vertraut mit den Mitgliedern der Truppe, dass ich sie auf familiäre Weise anreden durfte. Bis auf Baldassarre duzte ich alle.
»Er geht jetzt auf das Schiff«, sagte ich. »Gleich siehst du ihn besser.«
An Bord des Bucintoro schritt der Doge zum Heck, um dort auf einem gewaltigen Thron Platz zu nehmen. Nach ihm strömten weitere erlauchte Herren an Deck und verteilten sich unter den Baldachinen. Begleitet von Fanfarenlärm legte die Prunkbarke sodann ab und glitt ins Hafenbecken hinaus.
Aus den Augenwinkeln sah ich es rechts von mir rot aufleuchten. Elena hatte sich schon nach kurzer Zeit die Haubeheruntergezogen, sodass ihre Locken ungebändigt herabfielen. Es übte eine magische Wirkung auf mich aus, dieses rote Haar zu betrachten, wie es sich wellte und kringelte, ebenso unberechenbar und auf verstörende Weise anziehend wie seine Besitzerin. Wenn sie in meiner Nähe war, so wie jetzt, vermochte ich meiner Unruhe oft kaum Herr zu werden, und oft genug kam es vor, dass ich von Erregung gepackt wurde, wenn mir im Vorübergehen ihr Duft zuwehte. Ein Hauch reichte, um meine Hände zum Zittern zu
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