Der Koenig von Rom
Ciro hatte ohnehin nie gelächelt.
Der Junge bäumte sich auf und stieß mit letzter Kraft einen verzweifelten Schrei aus.
– Es gibt einen Verräter, und du weißt, wer es ist! Es gibt einen!
Ein trockener Schuss. Mit einem letzten Zucken sackte der Junge zusammen. Ciro steckte die Halbautomatische wieder ein.
’O Miracolo sah ihn mit strengem Blick an.
– Wer zum Teufel hat dir das befohlen, hä?
Ciro zeigte auf Libanese.
– Der hat keinen Mumm. Und dann zeigte er auf den toten Jungen. Und der is’ mir auf die Eier gegangen.
– Schon gut, seufzte Pasquale. Räumt den Dreck weg.
Während Maurizio und Ciccillo sich um die Leiche kümmerten, gab Libanese Pasquale den Revolver zurück. Bevor er gestorben war, hatte der Junge einen verzweifelten Blick auf Ciro geworfen. Hatte er vielleicht etwas sagen wollen? Libanese wusste nicht wieso, aber diese Geschichte gefiel ihm nicht. Die Camorristi gefielen ihm nicht. Für sie war Rom nur ein Land, das es zu erobern galt, genau wie für die Marseiller. Die Dinge mussten sich ändern. Keiner durfte mehr befehlen.
Pasquale und Libanese drückten sich die Hand.
– Kränk dich nicht, Libanese. Ciro ist noch ein Junge, und du weißt ja, wie die Jugend ist, impulsiv … Ich weiß, dass du Eier hast! Los, treib das Geld auf.
Libanese sprach ganz offen mit ihm.
– Es ist schwierig, Pasqua’. Rom ist nicht Neapel. In Rom sind die Straßen geschlossen. Die Wahrheit ist, dass …
– Die Wahrheit!, kicherte der Camorraboss. Die Wahrheit ist, dass du gern befehlen würdest, Libano. Aber um zu befehlen, musst du zuerst lernen zu gehorchen. Wenn du aufsteigen willst, musst du zuerst lernen zu kriechen. Wer ist in Rom der Boss?
– Hast du jemals von Terribile gehört?
– Natürlich! Wenn der euer Boss ist, sitzt ihr wirklich in der Scheiße.
– Nun, er ist’s.
– Bei ihm musst du dir holen, was du brauchst, Junge …
XIV.
Dandi, Bufalo und Scrocchiazeppi machten sich Sorgen.
Libanese war verschwunden.
Er war nicht wieder im Knast, denn das hätten sie gewusst. Durchgedreht hatte er nicht, denn das hätte sich rumgesprochen. Er war auch nicht untergetaucht, denn er hatte den Knast so sauber verlassen wie ein Säugling.
Wo also war er?
Sie versuchten sich bei Signora Pina zu erkundigen, aber die machte ihnen nicht mal die Tür auf. Und als Dandi sich nicht gleich geschlagen gab, sagte sie, wenn sie nicht augenblicklich verschwänden, würde sie die Polizei rufen.
Bufalo, dem die Schlägerei im
Open Gate
noch in bester Erinnerung war, behauptete steif und fest, die Türsteher hätten ihn aus Rache beseitigt. Dandi lachte herzhaft: Wer, die? Aber die können ja nicht mal einer Katze Angst einjagen! Aber Bufalo ließ nicht locker, und so statteten die drei den eben Genannten einen Besuch ab.
Nichts. Auch die waren sauber und schissen sich sogar in die Hosen, nachdem Bufalo aus Lust und Laune ein paar Kopfschläge ausgeteilt hatte, einfach so zum Spaß.
Die einzige glaubhafte Erklärung war, dass sich Libanese absichtlich aus dem Verkehr gezogen hatte.
Mit anderen Worten, dass er sogar seine alten Freunde vergessen hatte.
So etwas tat man nicht. Das gehörte sich nicht.
Doch Libanese wartete gerade darauf, dass Terribile mit dem Zählen des Tagesumsatzes fertig wurde und ihm eine Audienz gewährte.
– Du willst mich sprechen? Da bin ich. Aber beeil dich, ich hab zu tun.
Libanese bahnte sich einen Weg zwischen den Unbelehrbaren, die gerade die letzte Lira beim Kartenspiel verloren, schluckte seinen Ärger runter und bereitete sich darauf vor, auf die Knie zu fallen.
Mit Terribile hatte Libanese eine alte Rechnung zu begleichen. Terribile hatte ihn gedemütigt, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Wegen eines harmlosen Streichs hatte er ihn vor allen blamiert. Libanese hatte das falsche Auto geklaut, einfach so, um seine damalige Freundin zu beeindrucken. Terribiles Auto. Seine Wachhunde hatten ihn angepisst und Sara gezwungen, ihnen einen zu blasen. Eines Tages würde Libanese sich rächen. Aber dieser Tag rückte immer weiter in die Ferne.
Und fürs Erste musste er sich unterwerfen, wie ihm Paquale ’o Miracolo geraten hatte.
– Bin gerade im Minus. Ich bin gekommen, um dich um einen Job zu bitten.
– Man höre, man höre! Ziehst du den Schwanz ein, Libano?
– Nenn es, wie du willst.
– Die Szene, die du und dein Freund Bufalo kürzlich gemacht habt, hat mir nicht gefallen.
– Wir sind provoziert worden.
– Und wozu brauchst du
Weitere Kostenlose Bücher