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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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selben Tag wieder zu kommen? Schütz blickte auf den im tief dunklen Schwarz liegenden See hinaus. Die Lichter in Seehöhe ließen einen Blick auf die Dächer nicht zu. Auch von dem auf der anderen Seeseite liegenden Utoquai waren noch nicht einmal die Dachfronten zu erkennen, geschweige denn zu sehen, was sich auf den Dächern tat.
    Von dem einen Haus zu dem anderen lief er wieder über die kleine Plattform zum nächsten Gebäude. Ein kalter Wind blies in sein Gesicht. Das Fenster, das ihm am Tag zuvor die Flucht gesichert hatte, war verschlossen. Der erneute Griff in seine Safariweste brachte ein Messer und einen kleinen Saugnapf hervor. Nach wenigen Augenblicken stieg er durch das geöffnete Fenster ein. Die von ihm eingerannte Tür war provisorisch mit ein paar Holzleisten verstellt. Offenbar hatte sich auch hier niemand vorstellen können, dass sich der Besucher zum zweiten Mal in die Höhle des Löwen begeben würde. Er schob die Leisten einfach auseinander, wobei er sich sehr genau merkte, wie sie zusammengestellt worden waren. Wie auf Samtpfoten begab er sich in das Treppenhaus zum ersten Stock. Das Toilettenfenster war mit einer Folie verklebt worden. Ein kleiner Stahlanker an einer dünnen reißfesten Kunststoffleine flog durch die Folie und hielt sich irgendwo am Holzrahmen fest. Daran zog sich der nächtliche Besucher hoch, stützte sich mit den Füßen an der Wand ab und kletterte durch das Fenster. Die Folie riss er komplett weg und steckte sie in die Tasche.
    Weder war zuvor ein Bewegungsmelder eingebaut worden, noch hatte man am selben Tag Zeit gefunden, eine Alarmanlage zu installieren. Schütz zog in dem Büro der Chefsekretärin die Vorhänge zu, hing zusätzlich seinen Pullover über den flachen Bildschirm. Noch hing der Duft von Frau Cresson im Büro. Gespenstisch huschte der schmale Schein seiner Taschenlampe über die Möbel. Er fühlte den unguten Atem, der von Schreibtischen und Akten ausging, und dessen widerwärtiger Gestank auch nicht von dem schweren Parfüm der Sekretärin verdrängt wurde.
    Schnell hatte er sich in das Programm „Personen 1“ eingelo ggt. Schwieriger war es das Codewort zu finden. Anstatt einfach nur herumzufummeln, saß Schütz lange vor dem Bildschirm und dachte nach. Eine Sekretärin hatte sich immer noch viele Passwörter zu merken. Trotz Biosensor, Gendefinitor, Fingerabdruck, Persönlichkeitsaura, Iriscodierung und Atemausstoß setzten die meisten noch immer irgendwelche Zahlen oder Buchstabenkombinationen als Passwort ein. Eine andere Person außer der Sekretärin musste in ihrer Abwesenheit in das Programm einsteigen können, andernfalls könnten Versäumnisse großen Schaden zufügen. Passwörter mussten zu merken sein. So hieß es für Schütz, sich in die Welt einer Frau Cresson hineinzudenken. Aber auch so fand er den Einstieg nicht.
    „Gut, denn“, sagte er sich. „Versuche ich es anders herum.“
    Wenn er Glück hatte, war die Programmierung über das BWB gelaufen. Irgendwo in einem der Schränke könnten die Unterlagen sein. Das Glück blieb ihm treu. Die Sorgfalt der Sekretärin half ihm dabei. Mit Filzstift geschrieben fand er auf dem Rücken eines breiten Ordners die Worte Quelldatei. Leicht fand er das Programm ‚Personen 1‘. Hastig blätterte er durch. Er musste die Programmierung aufdröseln, um die gewünschten Veränderungen vorzunehmen. Die Arbeit dauerte Stunden. Dann hatte er es geschafft. Ohne Passwort kam er in das Programm. Sehr vorsichtig operierte er. Die Icons und Kurzbefehle hatte er ausgeklinkt. Mit den normalen Programmierschritten arbeitete er sich hindurch. Schließlich nahm er wesentliche Veränderungen an zwei Stellen im Programm vor.
    Als das geschehen war, lehnte er sich für einen Augenblick in dem Bürostuhl zurück und grinste vergnügt. Dann wieder lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, als er sich der Folgen seines Tuns bewusst wurde. Wahrhaftig, soeben hatte er sich selbst liquidiert, allerdings nur, um neu aufzuerstehen. Von nun an lag ein bestialischer Leichengestank über dem Duft von Frau Cresson.
    Schließlich speicherte er die neuen Daten und vergaß auch nicht, die Informationen über die Datenfernübertragung an alle angeschlossenen Rechner weiterzuleiten. Diese Todesnachricht würde sein Leben retten. Hoffte er zumindest. Alle Adressaten waren in einer Art E-Mail zusammengefasst. Doch auch diesen Weg musste er programmieren, da er das Icon ausgeschaltet hatte. Jetzt war die interessierte Welt

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