Der Komet
ausfällt.
Wenn nun ausgerechnet in den Jamim Noraim Seine Kaiserliche Majestät uns aufklärt, dass ein Komet auf uns zurast und mit der Auslöschung bedroht, dann muss dies doch wohl eine höhere, eine metaphysische Bedeutunghaben. Oder? In der Neuen Freien Presse stand am Wochenende die Schlagzeile: ›Die eisige Faust Gottes‹. Darunter ein Bild des Kometen mit seinem gewaltigen Schweif vor nachtschwarzem Hintergrund, ein kommentarloser Albtraum.
Bitte, ich will mir auf keinen Fall die Neuen Freie Presse zum Feind machen; schon deshalb nicht, weil die halbe Redaktion zu unseren Gemeindemitgliedern zählt. Die Neue Freie Presse ist bekanntlich die beste Zeitung der Welt. Lachen Sie nicht, ich meine das ernst. Welche Zeitung wäre denn besser, welche umfangreicher, wo werden wir verlässlicher informiert? Aber diese Schlagzeile – ›Die eisige Faust Gottes‹ – entspricht, Sie entschuldigen schon, nicht den theologischen Tatsachen; dafür verbürge ich mich mit meiner Autorität als Rabbiner. Bevor ich weiterrede, will ich etwas klarstellen: Auf keinen Fall möchte ich Sie von Werken der Barmherzigkeit abbringen. Geben Sie ein Zehntel Ihres Vermögens den Armen! Helfen Sie in einer Auskocherei mit, auch wenn die Suppe, die man dort an die Bedürftigen verteilt, nicht koscher sein sollte! Kommen Sie in Zukunft ein bisserl öfter zu uns beten! Seien Sie kein Schmock, seien Sie auch kein Heiliger. Seien Sie a mensch, wie man im Jargon zu sagen pflegt. Nur, schauen Sie: Der Komet sollte damit nichts zu tun haben. Es gibt nämlich im Talmud ein unmissverständliches Prinzip: Wir lernen aus Naturkatastrophen keine Halácha. Was heißt das? Aus Naturkatastrophen leiten sich keine religionsgesetzlichen Bestimmungen ab. Wenn ein Erdbeben irgendeinen Landstrich verwüstet, wenn ein Vulkan ausbricht, wenn eine Flutwelle über einen Küstenstreifen hinwegschwappt, dann ist das aus religiöser Sicht jedes Mal ein neutrales Ereignis. Es stimmt schon: Wir müssen hinterher die Überlebenden trösten, die Verwundeten versorgen, Zelte aufbauen, wir müssen Kaddisch für dieToten sagen – aber es gibt für uns nichts daraus zu lernen. Und auch aus der Tatsache, dass ein Komet auf die Erde zustürzt, gibt es für uns nichts zu lernen.
Der Volksmund hat diese theologische Weisheit längst in einen Witz gefasst. Kennen Sie den? In den Zeitungen liest man, dass eine neue Sintflut bevorsteht. In den Kirchen wird daraufhin gepredigt, die Menschheit müsse jetzt geschlossen zum Christentum übertreten, um das Verhängnis abzuwehren. In den Moscheen heißt es, dies sei der endgültige Beweis, dass der Islam die einzig wahre Religion sei. In den buddhistischen Tempeln bereitet man sich durch kollektive Meditation auf das Nirwana vor. Und was gibt es in den Synagogen? Nu, Schwimmunterricht!
Vielen von Ihnen ist momentan nicht nach Witzen zumute. Wem könnte ich das übel nehmen? Wir stehen heute in weißen Sterbegewändern vor Gott, um durch einen Tag des Fastens und der Gebete wieder mit dem Himmel ins Reine zu kommen. Und ich kann Ihnen hier im Pazmanitentempel dabei leider keinen Schwimmunterricht anbieten. Schwimmunterricht hülfe auch nicht gegen den Kometen, der jeden Tag näher kommt, um uns zu vernichten. Ich weiß überhaupt keinen praktischen Ratschlag für Sie. Aber ich kann Ihnen zum Ausgleich etwas anderes offerieren: ein paar Gedanken über die Hoffnung.
Bei den heidnischen Philosophen der Antike findet man beinahe nichts zu diesem Thema: weder bei Plato noch bei Aristoteles oder den Stoikern. Es scheint, als hätten sie dieses Thema als nebensächlich, der Betrachtung unwürdig erachtet. Die alten Griechen hatten nicht einmal ein richtiges Wort dafür: elpis heißt eigentlich nicht Hoffnung, sondern »Erwartung« (ob von etwas Gutem oder etwas Schlechtem, bleibt sich gleich). In einer Biografie von Aristoteles heißt es, er habe die Frage, wasHoffnung sei, so beantwortet: sie sei ein Wachtraum. Was auch immer der große Aristoteles damit gemeint haben mag – es war auf jeden Fall nichts Schmeichelhaftes. Hoffnung war für die Alten etwas Grundfalsches, Trügerisches, eine Illusion. Der weise Sokrates hat allerdings gemeint, es gebe »die gute Hoffnung, dass der Tod ein Segen sei«. Mit der entsprechenden Fröhlichkeit hat er dann – die Mittelschüler unter Ihnen kennen die Geschichte – den Schierlingsbecher geleert. Aber was war das für eine Hoffnung, von der Sokrates da sprach? Sie hatte nichts mit einer
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