Der Kreis der Sechs
mich etwas fragen.«
Sobald Duncan gegangen war, ließ Phoebe ihre Augen durch den Raum wandern, versuchte festzustellen, was der Ort über ihn verraten würde. Da waren Stapel mit Hausarbeiten auf dem Schreibtisch und auf der Ablage dahinter, Regale voller Bücher und Post-it-Notizen, die an den Computerbildschirm geklebt waren, typische Objekte in jedem Professorenbüro. Die einzigen persönlichen Gegenstände waren ein Becher auf dem »Musikfest, Bethlehem, Pennsylvania« stand, eine Urkunde an der Wand über ein Doktorat aus Michigan und zwei kleine Fotos auf dem Schreibtisch. Auf dem einen stand Duncan mit mehreren Studenten und hielt einen Preis in der Hand; auf dem anderen waren er und Miles, in hüfthohen Wattstiefeln, in einem Fluss stehend. Damit war nicht viel anzufangen. Sie nahm Platz und versuchte, sich zu entspannen.
Eine Weile schweiften ihre Gedanken umher, und sie holte sie schließlich zurück – in den Raum, zu der kommenden Nacht. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Zu ihrer Überraschung wurde Phoebe klar, dass Duncan bereits seit fünfzehn Minuten weg war. Sie erhob sich von dem Stuhl und schlenderte den kurzen Flur hinunter zum Empfangsbereich und dann hinaus in den Hauptkorridor. Er war leer und still, nicht überraschend zu dieser Stunde an einem Freitagabend. Plötzlich war da das Geräusch von Schritten, die in einem nahegelegenen Treppenhaus hallten. Sie wartete, da sie dachte, es wäre Duncan, doch er erschien nicht. Sie spürte einen Anflug von Verärgerung, dass er sie so lange alleine gelassen hatte.
Sie wollte sich gerade umdrehen, um zu Duncans Büro zurückzugehen. Da gingen plötzlich alle Flurlichter gleichzeitig aus. Phoebe stand in völliger Dunkelheit.
18
Phoebe erstarrte, ihr Kopf war vorübergehend leergefegt vor Überraschung. Sie fragte sich, ob der Hausmeister das Licht ausgeschaltet hatte und begriff bald, dass jede Lampe im Korridor aus war. Sie drehte sich in der Dunkelheit zum Türeingang des Psychologiefachbereichs um. Duncans Schreibtischlampe war an gewesen, doch nun drang absolut kein Licht in den Empfangsbereich. Es hatte einen Stromausfall gegeben, begriff sie. Sie fühlte plötzlich Panik in sich aufsteigen. Atme tief durch, befahl sie sich. Behalte einfach die Kontrolle.
Sie drehte sich wieder in Richtung Flur. Als ihre Augen sich daran gewöhnt hatten, sah sie, dass die Notausgangszeichen über den Türen zum Treppenhaus noch leuchteten. Sie warfen einen unheimlichen, geisterhaften Lichtkreis an jedem Ende des Korridors. Wo zur Hölle, hatte Duncan gesagt, wollte er hingehen, fragte sie sich. In den dritten Stock. Doch warum in aller Welt kam er jetzt nicht zurück zu ihr geeilt? Sie begann schnell zum Treppenhaus am Ende des Korridors zu gehen, wo sie ihn, wie sie schätzte, treffen würde, wenn er herunterkam. Sie fragte sich, ob auf dem gesamten Campus der Strom ausgefallen war.
Es stellte sich heraus, dass das Treppenhaus eine Notbeleuchtung hatte, aber die verbreitete nur ein sehr schwaches Licht. Es war niemand auf der Treppe, und es gab kein Geräusch von jemandem, der herunterkam.
»Duncan?«, rief Phoebe ängstlich die Treppe hinauf. »Bist du da?«
Von weit weg glaubte sie das Geräusch einer Tür zu hören, die zugeschlagen wurde, aber dann nichts anderes mehr.
Sie war verärgert, eigentlich stinksauer, dass Duncan sie nicht nur so lange allein gelassen hatte, sondern dass er sich auch nicht bemühte, schnell zurückzukehren. Sie hatte nicht die Absicht, im Dunkeln herumzustehen. Ich werde einfach rausgehen, beschloss sie, und vor dem Gebäude auf ihn warten. Aber zuerst musste sie ihre Handtasche aus seinem Büro holen. Sie hatte sie auf dem Boden neben dem Sessel gelassen. Tatsächlich war es vielleicht das Klügste, ihn auf ihrem Mobiltelefon anzurufen. Hoffentlich hatte er sein eigenes Telefon in seiner Jeanstasche.
Sie betrat erneut den Korridor. Es war vollkommen still dort, und ihr Herzschlag beschleunigte sich sofort noch mehr. Entspann dich, befahl sie sich wieder. Es ist nur ein dummer Stromausfall. Sie ging zurück zum Psychologiefachbereich. Sie spähte in den Empfangsbereich und sah, dass es dort sogar noch dunkler war als im Korridor, weil die Fenster auf das Wäldchen hinausgingen. Phoebe machte mehrere vorsichtige Schritte in den Raum hinein und wandte sich nach rechts, in die Richtung von Duncans Büro. Sie bewegte sich am Rand entlang, mit einer Hand vor sich ausgestreckt, die nach dem offenen Eingang zum Flur tastete.
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