Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
Einer flog über das Kuckucksnest mit Jack Nicholson gedreht hatte, sicherlich eine spannende Geschichte, wenn sie sich an den Film erinnern könnte oder daran, wer Jack Nicholson war – oder an sonst irgendetwas vor der Nacht des Feuers vor zehn Tagen.
Als sie nun allein in dem Krankenwagen saß und beobachtete, wie das Krankenhaus in der Ferne verschwand, hatte sie nicht das Gefühl, irgendetwas entkommen zu sein. Wie sollte man sich selbst entkommen? Körperlich ging es ihr sehr viel besser, ihre Verbrennungen und die Schusswunde an ihrer Schläfe waren nur oberflächlich gewesen. Mental jedoch sah es ganz anders aus. Sie betrachtete ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe, schaute in die Augen der Fremden, die sie anstarrte. Ihr war, als blickte sie durch die Fenster ihres eigenen vergessenen Zuhauses, dessen Schlüssel sie verloren hatte. Die Amnesie hatte ihr das Gefühl gegeben, führerlos durch die Welt zu schweben, losgelöst von allem, was ihr vertraut war, eine Fremde, auch für sich selbst. Noch mehr Angst aber bereiteten ihr die Halluzinationen. Und die Nächte brachten wenig Erholung. Die Albträume, die sie im Schlaf heimsuchten, waren ebenso verstörend wie ihre Visionen im Wachzustand. Den Ärzten fiel nichts Besseres ein, als sie mit Tabletten vollzustopfen, doch meistens hatte sie die Einnahme verweigert. Wie sollte sie sich selbst jemals wiederfinden, wenn sie vollgepumpt war mit Drogen?
Nach einer Weile spürte sie, wie der Krankenwagen langsamer wurde. Ein frisch gemaltes Schild erklärte, dass sie ihr Ziel erreicht hatte: die Tranquil Waters Klinik. Der Wagen rollte über einen langen Kiesweg, durch eine herrliche Parklandschaft, vorbei an einem idyllischen See, der in der Sonne glitzerte, und hielt vor einem großen viktorianischen Gebäude, das über einen gläsernen Gang mit einem neuen, moderneren Flügel verbunden war. » Seien Sie froh, dass sie aus dem staatlichen Krankenhaus raus sind«, sagte der Fahrer. » Das hier ist die beste Klinik in der Gegend.«
Sie sagte nichts. Die Ärzte, ganz offensichtlich froh, dass sie nun nicht länger ihr Problem war, hatten ihr von Tranquil Waters erzählt. Der alte Flügel im viktorianischen Stil hatte einst die berüchtigte psychiatrische Klinik Pine Hills beherbergt, in der psychotische Härtefälle und geisteskranke Straftäter behandelt wurden. Nachdem die Klinik geschlossen worden war, hatte das Oregon University Research Hospital das Gelände gekauft, das alte Gebäude renoviert, den neuen Flügel hinzugefügt und das Ganze unter dem Namen Tranquil Waters neu eröffnet. Mittlerweile war die Klinik bekannt für ihre hervorragenden Leistungen im Bereich der Forschung, Therapie und langfristigen Betreuung von Patienten mit Demenzerkrankungen, Gedächtnisverlust und einer ganzen Reihe von Neurosen und Angststörungen.
Als der Fahrer ihr aus dem Krankenwagen half und sie auf die abweisende gotische Fassade des alten viktorianischen Gebäudes zuführte, erwartete sie nicht, dass diese Klinik in irgendeiner Weise besser sein könnte als die letzte, ganz egal wie frisch die Farbe an den Wänden noch war oder wie herrlich das Gelände um die Klinik herum. Schließlich lag ihr Problem tief in den Schatten ihrer Seele und nicht im Sonnenlicht der realen Welt hier draußen. Ihre schlimmsten Erwartungen wurden bestätigt, als sie die beiden Pfleger in ihren weißen Anzügen und die lächelnde Ärztin sah, die vor dem Haus warteten, um sie in Empfang zu nehmen. Sie unterschieden sich kein bisschen von all den anderen, die sie bisher getroffen hatte. Wie konnten diese Leute hoffen, sie zu verstehen, wenn nicht ein Einziger von ihnen die richtige Farbe hatte?
Nur wenige Schritte entfernt, in einem der Büros in der Nähe des Eingangsbereichs von Tranquil Waters, saß Nathan Fox mit Dr. Tozer, dem Arzt der jungen Frau vom Oregon State Hospital, und besprach die Übergabe der Patientin. Außerdem waren die beiden Oberärzte von Tranquil Waters anwesend, Frank Miller und Walter Kolb, beide deutlich älter als Fox, und ihre Chefin, die gefürchtete Prof. Elizabeth Fullelove (sie bestand darauf, dass es fully love ausgesprochen wurde).
Die Klinikchefin war Ende fünfzig, ihr Haar schimmerte mehr grau als schwarz, doch ihre strahlenden Augen und die glatte schwarze Haut ließen sie jünger aussehen. Sie war eine respekteinflößende Persönlichkeit; Fox kannte sie nun schon seit einigen Jahren, doch er sprach sie noch immer mit » Professor« an – so wie alle
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