Der Kunstreiter
drei, vier verschiedene Fälle, in denen er mit jener Frau in Verbindung stand, ja, ich würde es auch glauben. Madame Bertrand hat ihn aber sogar verkleidet auf seinem Zimmer besucht – verlangen Sie einen stärkeren Beweis?«
»Das wäre allerdings stark genug, wenn es erwiesen...«
»Es ist erwiesen und die Sache erledigt. Gott sei Dank, ich habe mich selbst wiedergefunden, und keine solche Schwäche soll mich je mehr überwältigen. Aber still; ich glaube. Rosalie kommt zurück und wird ihren Putz in Ordnung bringen wollen.«
»Es ist die Exzellenz,« sagte Luise, »ich höre ihre Stimme.«
»Meine Mutter?«
In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür, und Ihre Exzellenz die Frau Kriegsminister von Ralphen betrat mit Rosalie das Zimmer.
»Fräulein, haben Sie die Güte, Rosalien ankleiden zu lassen,« sagte sie, zu der Gouvernante gewandt, »ich wünsche mit meiner Tochter etwas zu besprechen. Geh, mein Kind, und komme nachher wieder hinüber zu mir – ich erwarte dich in einer halben Stunde.« Die Gouvernante verließ, dem Winke gehorsam, mit ihrem Zögling das Gemach, und Frau von Ralphen, langsam zu Melanie tretend, neben deren Stuhl sie sich auf denselben Fauteuil niederließ, in dem vorhin Fräulein von Zahbern gesessen, sagte freundlich: »Mein liebes Kind – aber ich dächte fast, du hättest geweint; deine Augen sehen so verschwollen aus. Fehlt dir etwas?«
»Nichts, liebste Mutter, nur ein wenig Kopfschmerz hatte ich, und selbst den kaum mehr, denn seit der letzten Viertelstunde fühle ich mich um vieles leichter.«
»Desto besser, denn ich habe ein paar ernste Worte mit dir zu reden.«
»Liebe Mutter!«
»Graf Selikoff war vorhin bei mir, um Abschied zu nehmen. Er war auch vorher bei dir, und du weißt, daß er in Familienangelegenheitennach Petersburg muß. Wie lange er sich dort aufhalten wird, hängt allerdings von Umständen ab; er hofft aber doch in sechs bis acht Wochen spätestens wieder zurück zu sein, und hat mich indessen freilich um mein Fürwort bei dir gebeten.« Melanie ließ die Hand mit der Nadel, die sie gehoben hatte, um in ihrer Arbeit fortzufahren, wieder sinken und sah still vor sich nieder, und die Mutter, die sie kurze Zeit beobachtete, fuhr mit langsamer, aber eindringlicher Stimme fort: »Ich brauche dir die Vorteile nicht auseinander zu setzen, die für dich wie für uns alle aus einer Verbindung mit einem so edlen und angesehenen Hause entstehen würden; Vorteile sollen auch keinen Einfluß bei meiner Tochter auf die Wahl eines Gatten haben, denn, Gott sei Dank, wir können und dürfen die höchsten Ansprüche machen und stehen keinem nach. Aber Selikoff ist auch ein liebenswürdiger und braver Mensch, mit dem eine Frau schon hoffen darf, glücklich und angenehm zu leben, und ich möchte dir die Sache hiermit warm und dringend ans Herz gelegt haben. Eine Zeitlang glaubte ich einmal – und ich meine sogar, ich hätte Ursache dazu gehabt – daß Graf Geyerstein sich um dich bewerbe, und daß du selber ihm nicht abgeneigt wärest. Ich hätte allerdings nicht das geringste gegen Geyerstein einzuwenden; er ist aus edlem Geschlecht, ein braver und wackerer Mann, und der Vater hat ihn besonders gern und hält große Stücke auf ihn, aber – Selikoff ist denn doch eine bessere und schicklichere Partie für dich, und ich habe mit Genugtuung gesehen, daß du selber so zu denken scheinst. Graf Geyerstein mag das auch wohl fühlen, denn er hat sich in letzter Zeit fast auffallend zurückgezogen.« Die Mutter schwieg eine kleine Weile, um die Wirkung zu beobachten, die ihre Worte auf die Tochter machen würden. Melanie aber erwiderte keine Silbe, regte sich nicht, und die alte Exzellenz fuhr fort: »Graf Selikoff hofft, daß er dir nicht ganz gleichgültig sei. Er hat – schüchtern, wie er ist – freilich noch nicht gewagt, dich selber darum zu fragen, er ist aber bei mir gewesen, und hat mich ohne Umschweife offen und ehrlich gebeten, ein Fürwort für ihn bei dir einzulegen, also förmlich und in aller Ordnung bei mir, der Mutter, um deine Hand geworben. Ebenso einfach und ohne Umschweife frage ich also dich jetzt, Melanie: willst du die Gattin des Grafen Selikoff werden.«
»Liebste, beste Mutter...«
»Laß mich eine einfache Antwort haben. Ja oder Nein; Selikoff selber hat dir noch Zeit mit der Antwort gelassen, bis er zurückkommt;nur für mich verlange ich sie, um darüber beruhigt zu sein; denn diese Ungewißheit reibt mich auf, und das vertragen meine Nerven
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