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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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seinen Arm herunterzuziehen und ihn auf dem Tisch festzuhalten.
    »Hör auf damit: Ich bin betrunken.«
    »Das sehe ich. Du kannst einem wirklich leidtun. Was ist deine Grenze? Zwei Mon Chéri?«
    Ich verpasse ihm einen Schlag, er fängt meine Hand ab, drückt sie.
    »Nur gut, dass ich noch klar im Kopf bin und über deine Unschuld wachen kann.«
    Diesmal mache ich mich sofort von ihm los.
    »Erzähl doch keinen Mist! Ich habe dich noch nie klar im Kopf erlebt.«
    Ich merke, dass Livio uns beobachtet: Solche Szenen kennt er bereits.
    »Dein Freund da ist für die Lega Nord«, sage ich.
    Livio schneidet mir eine Grimasse.
    »Aber nein.«
    Das lässt sich Savarese nicht entgehen.
    »Für die Lega? Heißt das, dass du dich gemäßigt hast?« Er streckt einen Arm auf der Rückenlehne meines Stuhls aus. »Vorsicht, um eins geht er zum Angriff über.«
    »Geh mir nicht auf den Sack, Savarese. Ich hab immer …«
    »Links gewählt, ich weiß. Und schlecht daran getan.« Nun ist der Arm von der Lehne geglitten und liegt auf meinen Schultern. »Wir öffnen die Grenzen, und das kommt dabei heraus.«
    »Es gibt doch keine Grenze zwischen dem Norden und dem Süden.«
    »Und ob. Zu entscheiden ist nur noch, auf welcher Höhe sie verläuft.«
    Alles scheint sich um mich zu drehen. Nur dieser Tisch rührt sich nicht von der Stelle, ist der Fixpunkt des Lokals, der Stadt, der Erde. Es muss so sein. Es ist nicht die Zeit, die sich nach vorne bewegt, Dinge und Menschen mit sich reißt und verschleißt, es ist der Raum. Sich im Raum zu bewegen heißt fallen, altern, sterben.
    Ich halte mich am Rand des Tisches fest.
    Savarese lässt eine Hand über meinen Rücken gleiten.
    »Woran denkst du gerade?«
 
    Andrea klammerte sich an die Palisadenwand und schrie jedes Mal, wenn die Pferde an ihm vorbeitrotteten. Gaglio lenkte Newton zu ihm, sodass dessen Maul in Andreas Reichweite kam.
    »Komm, fass es mal an.«
    Andrea machte einen Satz rückwärts, streckte dann die Hand ein paarmal aus und zog sie wieder zurück, bevor er sie zwischen die kleinen Augen des Tieres legte.
    Hinter ihm bewegten sich einige Grüppchen vom gelben Haus den Abhang des Hügels herunter. Eine Viertelstunde später waren sie bei uns angelangt: zumeist Männer mittleren Alters. Und dann eine Frau mit Krücken und eine andere im Rollstuhl. Zwei mit Down-Syndrom, die Grazia höflich um Erlaubnis baten, sich neben sie auf die Bank setzen zu dürfen. Sie beobachteten die Jungen auf den Pferden, riefen ihnen zu, sich gut festzuhalten.
    Grazia kam zu mir.
    »Lass uns aufbrechen, das Durcheinander ist zu groß.«
    »Ok. Trommeln wir die Gruppe zusammen.«
    Wir zählten die drei auf den Pferden, Sid, inmitten einiger Damen, die ihm die Haare streichelten. Ein geistig zurückgebliebener junger Mann ahmte Andreas Geschaukel nach. Riccardi kümmerte sich nicht darum.
    Aus dem gelben Haus trafen nun die Nachzügler ein, jene Behinderte, die sich am langsamsten fortbewegten. Ab und zu drehte Gaglio sich um, schaute zu ihnen hin und winkte.
    »Sie kommen alle von dort«, erklärte er mir. »Therapeutische Wohngemeinschaft und Reitbahn gehören zusammen.« Mit dem Kinn deutete er auf Lorenzo, der Principessa an der Palisadenwand festband.
    Ich blickte mich um.
    Gaglio, die Belcari und ich. Und damit basta.
    Ich blieb noch ein Weilchen stehen, starrte auf Lorenzo, sein Gesicht, seinen Gang.
    Ich hatte ihn nicht verstanden.
 
    »Ich denke an Pferde.«
    Savarese sieht mich merkwürdig an. »Denkst du oft an Pferde?«
    Ich lache und antworte nicht darauf.
    »Als ich klein war, bin ich geritten.«
    Ich erwarte die übliche dumme Bemerkung.
    »Meine Mutter hat mich immer hingebracht: eine Viertelstunde hin und eine Viertelstunde zurück und das ganze Reden zwischendurch.«
    Ich denke an die Autofahrten zur Schule, mein Vater am Lenkrad und ich, die versuchte, ein Wort aus ihm herauszubekommen. Es war alles vergebens. Der Verkehr am frühen Morgen bedrängte ihn von allen Seiten. Er wurde rechts überholt, in Gegenrichtung angefahren, ständig in Atem gehalten. Ab und zu konnte er schnell etwas hinmurmeln, um mir zuzustimmen oder auch nicht. Alles Übrige nahm sich die Straße.
    »Deine Mutter ist nett.«
    »Ganz und gar nicht; sie ist Satan. Jener Gang zum Reitstall war die wöchentliche Umerziehungsstunde: ihr verzweifelter Plan, zu verhindern, dass ich wie mein Vater werde.«
    »Und, hat es funktioniert?«
    »Nein.«
    Seit einer Woche habe ich meine Mutter nicht mehr angerufen. Sie

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