Der letzte Drachenlord - Hatfield, M: Der letzte Drachenlord
Herrschaft nicht viel Schaden anrichten.
Catijas Gedächtnis ließ sie jetzt oft im Stich. Aber sie würde sich immer an den Tag erinnern, an dem ihr klar wurde, dass auch ihr Leben endlich war. Der Zyklus war vorbestimmt, es gab ein feststehendes Datum, an dem sich alles grundlegend ändern würde.
Wenn ihre Tochter Alexia den Thron bestieg, war es so weit.
Damals hatte sie realisiert, dass sie nicht nur die sprichwörtliche Fackel weitergeben, ihrer Tochter wenigstens ein mageres Vermächtnis hinterlassen würde, sondern dass der Tag der Thronbesteigung ihrer Tochter höchstwahrscheinlich auch ihren eigenen Tod bedeuten würde.
„Große Göttin, ich hasse, was ich alles getan habe. Ich hasse es, wie ich sie behandeln muss. Und wie sie mich dauernd anschaut. Aber wenn Lotharus jemals Verdacht schöpfen würde …“
„Schsch“, murmelte Yuri, dessen Finger weiter durch ihr Haar strichen. „Das wird niemals passieren.“
Catija schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich muss Alexia wehtun, und dieser Lotharus trinkt von ihr, es bringt mich noch um, das mit ansehen zu müssen.“ Sie leckte sich über die Lippen, auf denen der Geschmack dieser entsetzlichen Wahrheit lag.
„Yuri, ich …“ Sie schluckte schwer. „Ich glaube, er ist schon dabei, mich umzubringen. Ganz langsam.“
Seine Hand auf ihrem Haar erstarrte, sie spürte, wie sich sein ganzer Körper anspannte. Dann kniete er plötzlich vor ihr. Er packte sie an den Armen und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
„Schwester …“
„Nein, bitte, hör mir einfach zu“, unterbrach sie, denn sie wusste, dass sie nicht mehr die Kraft hatte, sich mit ihm zu streiten. „Es sind nur noch zwei Tage bis zu Alexias Thronbesteigung. Falls mir vorher etwas zustößt, musst du mir versprechen, dass du Alexia beschützt.“
Yuri seufzte, doch eine Sekunde später nahm er ihr Gesicht in beide Hände. Seine dunklen und leuchtenden Augen bekräftigen die Worte, die er jetzt aussprach. „Das schwöre ich, bei allem, was mir heilig ist. Ich werde dafür sorgen, dass sie immer in Sicherheit ist. Ich werde auf sie aufpassen, so wie ich auch immer auf dich aufgepasst habe, was immer auch passiert.“
Sie musste über seinen pathetisch geflüsterten Schwur lächeln.
„Ich glaube dir, mein Bruder.“
Sie hatte nicht den geringsten Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Yuri hatte seine bedingungslose Liebe schon oft unter Beweis gestellt. Er nahm wieder neben ihr Platz und strich ihr durchs Haar. Catija dachte mit Entsetzen daran, dass sie ihm vor vielen Jahren Unmenschliches abverlangt hatte.
„Ich habe so viel Schreckliches getan, das ich wiedergutmachen müsste, Yuri. Aber ich glaube, meine Kraft wird dazu nicht mehr ausreichen.“
Ausdruckslos starrte ihr Bruder ins Leere.
„Besonders das unsagbar Schreckliche, das ich dir angetan habe.“
Yuri blinzelte, seine undurchdringliche Fassade bekam Risse. „Du machst das doch gerade wieder gut“, erwiderte er und sah zu Boden.
„Vielleicht. Aber ist es nicht zu spät?“
Wärme und Mitgefühl lagen in seinen dunklen Augen, als er sie endlich ansah. „Nein, Catija. Es ist nie zu spät, Wiedergutmachung zu leisten.“
Catija nickte, legte ihren Kopf an seine Schulter, gestattete sich noch einen Augenblick in den Armen ihres Bruders. Nur noch eine Sekunde, um all den Druck, die Ängste und Unsicherheitenvon sich abgleiten zu lassen, bevor sie wieder in jene Persönlichkeit schlüpfen musste, die ihr von Geburt an vorherbestimmt war.
Die Musik im Hintergrund klang aus. In Catija stieg erneut die Panik auf. Ihr Herz schlug schneller, Panik umhüllte sie wie ein Mantel. Sie klammerte sich an ihn, als könnte er sich in Luft auflösen, wenn sie losließe.
„Du hast dein Versprechen gehalten. Du hast sie alle in Sicherheit gebracht.“
„Ja, meine Königin“, erwiderte er.
Plötzlich war die Musik zu Ende. Es knackte und knisterte, als die Tonnadel immer wieder über die goldene Schallplatte kratzte. Catija zuckte zusammen. Blinzelnd schüttelte sie den Kopf, als sei sie aus einem undurchdringlichen Schlummer erwacht. Ein überwältigendes Verlustgefühl bemächtigte sich ihrer. Sie blickte sich im Zimmer um, obwohl sie ganz genau wusste, dass sie allein in ihrem Schlafgemach saß.
Allein, immer allein.
Erschöpft erhob sie sich und schritt mit zitternden Beinen zu der Kommode. Vorsichtig hob sie die Nadel von der Platte und setzte den Arm wieder auf die Gabel. Die kratzenden Geräusche hörten auf,
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