Der letzte Drachenlord - Hatfield, M: Der letzte Drachenlord
wieder mit eigenen, klaren Augen die Wahrheit erkennen, die ihr betrübtes Herz und ihr verworrener Verstand nicht wahrhaben wollten.
Sie konnte nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt ihr früherer Liebhaber angefangen hatte, ihre Nahrung mit bewusstseinsverändernden Drogen zu mischen. Auf jeden Fall schien ihr nichts anderes übrig zu bleiben, als das Zeug zu trinken. Lotharus sollte auf keinen Fall Verdacht schöpfen, und außerdem musste sie herausfinden, warum er sie eigentlich unbedingt ruhigstellen wollte. Als sie den Grund schließlich erkannte, schnürte es ihr den Hals zu. Sie war nicht mehr die starke Königin. Die schwache Seite in ihrem Innern hatte es sogar genossen, sein Gebräu zu trinken. Es war so viel leichter, wie betäubt durch die Welt zu stolpern, anstatt sich den widerlichen Schuldgefühlen und der Scham auszusetzen, die sie im nüchternen Zustand heimsuchten. Denn sie war es schließlich selbst gewesen, die Lotharus hierher gebracht hatte, sie selbst hatte ihn zum Oberbefehlshaber ihrer Truppen gemacht, ihn nach eigenem Gusto über die ganze Horde herrschen lassen und ihm die eigene Tochter ausgeliefert.
Bei der Großen Göttin, wie hatte sie nur jemals auf die Einflüsterungen dieses Mannes hören können? Zulassen können, dassihre selbstsüchtigen Begierden und seine bösartigen Worte ihr so sehr den Verstand vernebelten, dass nun die Existenz der ganzen Horde auf dem Spiel stand? Und auch noch das Leben ihrer Tochter? Ihr Kind, dachte sie mit unterdrücktem Schluchzen. Wo Alexia nun steckte, mochte allein die Große Göttin wissen. Auch dieser fürchterliche Kampf war allein ihre Schuld.
Während Catija durch das leere Verlies streifte, wurde ihr bewusst, dass es eine närrische Vorstellung gewesen war, sie könnte jemals wiedergutmachen, was sie in ihrem langen Leben alles angerichtet hatte. Die Hoffnung, wenn sie den König der Drachen und seine Königin oder auch nur ihren Sohn rettete, könnte sie vielleicht Erlösung finden, war völlig unsinnig. Das Schreckliche, die Schmerzen und Qualen, die sie zu verantworten hatte, waren durch nichts aufzuwiegen. Was aber nicht hieß, dass sie diese Existenz hinter sich lassen würde, ohne nicht noch einen Versuch zu unternehmen.
Auf dem Boden vor ihr spiegelte sich etwas im Licht des Wandleuchters. Was immer es war, es kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie kniff die Augen zusammen, konnte es aber nicht richtig sehen. Also schritt sie darauf zu und bückte sich. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, und der Magen drehte sich ihr um. Mit zitternder Hand griff sie danach, und als ihre Fingerspitzen kühles Metall berührten, wusste sie sofort, was es war.
Einer von Alexias Dolchen.
Aber warum lag der Dolch hier auf dem blutverschmierten Boden vor der Wand mit den Ketten?
„Teuerste.“
Catija zuckte zusammen und wirbelte herum. Den Dolch verbarg sie hinter ihrem Rücken. „Oh, Lotharus. Du hast mir Angst eingejagt.“
Lotharus neigte den Kopf, sein Lächeln wirkte etwas beunruhigt. „Aber warum sollte ich dir Angst einjagen?“ Seine Absätze klackten auf dem Boden, als er langsam näher kam. Er hielt eine Fackel in der Hand. Die blasse Haut des Vampirs flackerte im Licht, betonte die hervortretenden Knochen. Er wirkte fastwie ein Skelett.
Wie der Tod, der gekommen ist, um mich zu holen.
„Was hast du denn hier unten verloren?“
„Ich war auf der Suche nach Alexia.“
„Ich habe dir doch gesagt, dieser Drache ist entflohen und hat sie mitgenommen.“
„Das wollte ich mit eigenen Augen sehen.“ Sie schaute sich in dem jämmerlichen Verlies unsicher um. Völlig blind hatte sie zugelassen, dass Lotharus Alexia zum Soldaten ausbildete, zur Kriegsführung. Auf einmal fragte sie sich, ob das nicht voreilig gewesen war.
„Ist sonst etwas nicht in Ordnung?“
Als könnte er ihre Gedanken lesen. Er stand jetzt höchstens noch einen Meter vor ihr und musterte sie scharf, seine Augen sahen womöglich mehr, als sie zu erkennen geben wollte.
„Lotharus, ich … ich glaube …“, stammelte sie, den Dolch hinter ihrem Rücken mit den Fingern umklammernd.
„Ja?“, fragte er, die Brauen über seinen leeren Augen erhoben.
Catija schluckte. „Ich denke, wir sollten die Hochzeit verschieben, bis meine Tochter wieder sicher bei uns ist. Das Volk würde es nicht verstehen, wenn ich Hochzeit feiere, solange meine Tochter … sich in den Händen solch gefährlicher Ungeheuer befindet.“
„Selbstverständlich“, erwiderte er ohne Zögern.
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