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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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diese zwei Jungs, die beide auf die alte Eiche mit dem Baumhaus zurasten, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre. Weshalb sie dies taten, verstand keiner der Zuschauer. Und dennoch: Sie konnten ihre Blicke nicht abwenden. Irgendetwas ging von dieser Situation aus, dem sie sich unmöglich entziehen konnten …
    Und dann bemerkten sie es, Ruth zuerst, kurz gefolgt von den anderen. Der Hund! Argos bot einen merkwürdigen Anblick, scharrte wütend im Boden, grub nach etwas, knurrte, schnappte nach Gras und Dreck und dann, ganz plötzlich, fiel er zu Boden. Beinahe als ob ihn etwas umgerissen hätte. Aber da war nichts. Der Hund lag knurrend dort, wand sich, schnappte um sich. Dann ging sein Knurren in ein Winseln über, das wenig später zu einem Jaulen wurde, als sich – von den Zuschauern unbemerkt – schattenhafte Klauen und Zähne in sein Fleisch gruben. Niemand bemerkte die klaffenden Wunden unter dem blassroten Fell, die wie von selbst mehr zu werden schienen, und das Blut, das auf den Rasen troff.
    Jonas sah Argos sterben, und im Gegensatz zu allen anderen Zuschauern begriff er, was dort unten am Fuß der Eiche geschah. Schmerzerfüllt schrie er ein weiteres Mal auf, als er sah, wie sein treuer Gefährte tot im Gras zusammenbrach.
    Plötzlich wurde es ganz still im Garten der Mandelbrodts.
    Ein jeder Beobachter spürte, dass das Tier tot war. Doch noch immer ahnte niemand, was wirklich in dem Garten vor sich ging …
    Jonas hatte inzwischen den Baum erreicht. Hastig begann er, die an den Stamm genagelten Sprossen emporzuklettern. Norman war einige Meter hinter ihm, er schwitzte und hastete keuchend weiter. Als der treue Argos seinen letzten Atemzug tat und seltsam verrenkt im Gras liegen blieb, ließ der Schattenhenker seine Macht spielen: Er pflückte die Schatten von den Füßen der Umstehenden, die wie gebannt in den kleinen Garten starrten, zwang sie unter seinen Befehl und ließ sie zusammenfließen, um sich anschließend mit ihnen zu vereinigen.
    Binnen Sekunden band er sie an sich, wuchs mit ihrer Hilfe, breitete sich aus, immer schneller, bis er schließlich Norman erreichte. Etwa im gleichen Moment wandten die Menschen sich ab, um mit dem fortzufahren, worin sie innegehalten hatten. Keiner bemerkte das Fehlen des eigenen Schattens.
    Knapp einen Fuß hinter Norman Fiedler schoss eine Schattenklaue aus dem Boden empor und grub sich tief in die Wade des Jungen. Keine zwei Meter von dem Baum und den rettenden ersten Sprossen entfernt schrie Norman auf und strauchelte. Jonas, der schon halb auf dem Baum war, konnte sehen, wie der Schatten gierig über die Wunde seines Freundes leckte, sich ein weiteres Mal zur Klaue formte und ein zweites Mal ausholte, um Norman endgültig von den Füßen zu reißen.
     
    Die Schatten um uns herum waren in Aufruhr. Und in dem Moment, als der Garten sich verdunkelte, wusste ich, dass jemand gekommen war, der meinem Herrn ans Leben wollte. Und ich wusste intuitiv, dass niemand anders als der Rat ihn geschickt hatte. Der Moment, den ich lange gefürchtet hatte, war gekommen.
    Ich sah den Hund meines Herrn sterben und wie sein Freund verwundet wurde. Dann hörte ich Jonas Mandelbrodt aufschreien. Und, bei den Schriften der alten Chaldäer, ich kannte diesen Schrei! Er ähnelte dem des Neugeborenen, der mich einst von seinen Füßen hatte reißen wollen. Ein Schrei voller Kraft, Verzweiflung und Magie. Und er verfehlte seine Wirkung nicht. Für einen kurzen Moment ließ der Schrei Jonas Mandelbrodts die Schatten um ihn herum erstarren. Das rettete Norman Fiedler das Leben. Denn so wie auch ich erstarrte selbst der Schatten des Henkers, und mit ihm alle, die er um sich gesammelt hatte. In seinem Schrei vereinte Jonas Mandelbrodt seine ihm angeborene Macht mit meinen Lektionen, und für den Bruchteil eines Augenblicks standen die Schatten still.
    Ich spürte die Verwunderung des Angreifers. Der Henker erschrak bis in sein innerstes Schwarz. Und in diesem Moment der Verwirrung begannen die vereinnahmten Schatten sich aus ihm zu lösen, strebten wieder aus ihm heraus in Richtung ihrer Herren. Doch das reichte nicht aus, um ihn aufzuhalten. Denn er war gekommen, um den Willen des Rates zu vollstrecken. Und niemand, der dem Rat der Schatten diente, hätte es je gewagt, sich ihm zu widersetzen.
    Kaum dass mein Herr Norman Fiedler bei der Hand ergriffen und die ersten Stufen emporgezogen hatte, hatte der Henker sich wieder gefangen. Sein Wille riss die fremden Schatten wieder an sich,

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